Die Entdeckung des Higgs-Teilchens: Oder wie das Universum seine Masse bekam (German Edition)
ganze Reihe anderer Partikel in alle Richtungen. Diese Zerfallsprodukte leben meistens länger und können mit einem Detektor gemessen werden. Da jedes Teilchen auf spezifische Weise zerfällt, sind die gemessenen Teilchen quasi ein Fingerabdruck des Entstandenen. Um diesen zu untersuchen, wurden am LHC an zwei Kollisionspunkten die größten Universaldetektoren gebaut, die es bis heute gibt: CMS und ATLAS. In Kombination miteinander haben sie die Möglichkeit, eine große Bandbreite bekannter und unbekannter Teilchen zu messen.
CMS und ATLAS sind gewaltige Maschinen, und das nicht nur wegen ihrer Ausmaße – darüber wurde schon an früherer Stelle im Buch berichtet –, sondern auch wegen ihrer äußerst komplexen Technik. Um eine derart komplizierte Maschine entwickeln und betreiben zu können, ist ein großes Team von Physikern und Ingenieuren notwendig. Mit »groß« ist hier eine Anzahl von rund 10000 Mitarbeitern aus über 200 wissenschaftlichen Instituten und aus 38 Ländern gemeint.
Beide Detektoren haben die gleiche Aufgabe: nämlich noch nicht bekannte Teilchen wie etwa das Higgs-Teilchen, eventuell verschiedene supersymmetrische Teilchen (SUSY – sie könnten vielleicht Aufschluss über die Dunkle Materie liefern) bis hin zu Schwarzen Mikro-Löchern (die entstehen könnten) zu suchen und zu finden. Dabei verfolgen beide Experimente unterschiedliche Strategien und sind deshalb auch unterschiedlich aufgebaut. Jedoch sind einige Detektorsysteme bei beiden gleich, damit es möglich ist, die Ergebnisse gegenseitig zu überprüfen und zu sichern.
Obwohl CMS und ATLAS aus verschiedenen Detektorschichten bestehen, sind sie in ihrem Kern, nahe den Kollisionspunkten, ähnlich aufgebaut. Um schnell zerfallende Teilchen zu messen und keine zu verpassen, bringt man die nötigen Detektoren deshalb so nahe wie möglich an den Kollisionspunkt.
Zum Einfangen dieser Teilchen benötigt man an dem der Kollision nächstgelegenen Punkt einen sogenannten Pixel- beziehungweise Streifendetektor mit einer sehr hohen Auflösung von bis zu 10 Mikrometern. Das entspricht einer doppelt so hohen Auflösung wie bei einem heute üblichen Full-HD-Fernseher. Damit lassen sich sehr detailliert Flugbahnen von Teilchen messen. Im Anschluss kommen die Kalorimeter. Mit diesen werden die Energien der auftreffenden Teilchen bestimmt, indem die nach der Kollision einfallenden schnellen Teilchen bis auf die Geschwindigkeit Null gebremst werden. Dabei zerfallen sie in sogenannte Sekundärteilchen, die wiederum selbst in weitere Teilchen zerfallen. Eine solche Kaskade wird in der Teilchenphysik als Teilchenschauer bezeichnet. Aus den Flugbahnen der vielen Teilchen kann man schließlich die genaue Position des ursprünglichen Partikels errechnen. Ein elektromagnetischer Kalorimeter wird eingesetzt, um die Energie von elektromagnetisch wechselwirkenden Teilchen wie den Photonen oder den Elektronen zu bestimmen. Im hadronischen Kalorimeter werden Hadronen, wie zum Beispiel Protonen und Neutronen, nachgewiesen. Die dabei einfallenden Hadronen erzeugen in den Nachweis- und Bremsschichten des Kalorimeters Lichtblitze. Die in den Lichtblitzen entstandenen Photonen wiederum kann man messen und damit Rückschlüsse auf das ursprüngliche Teilchen ziehen.
Der ATLAS-Detektor
Um zu wissen, welche Teilchen bei der Kollision ursprünglich entstanden sind, muss man verschiedene Größen kennen: die Gesamtenergie, die Art der ent standenen Sekundärteilchen und deren Einzelenergien. Am ATLAS stehen hierfür drei Systeme zur Verfügung: der Innere Detektor, das Kalorimeter und der Myonendetektor.
Der Innere Detektor soll die Bahn von geladenen Teilchen in einem Magnetfeld vermessen. Dazu besitzt er ein magnetisches Feld, das etwa 40000 Mal so stark ist wie das Erdmagnetfeld. (Man beachte: Das Magnetfeld des Inneren Detektors ist zwei Tesla stark, das Erdmagnetfeld an der Oberfläche dagegen nur 50 Mikrotesla – also sechs Größenordnungen schwächer.) Dieses starke Feld wird von einer supraleitenden Zylinderspule (Solenoidmagnet) erzeugt. Supraleitende Materialien sind zum Beispiel Quecksilber oder Wolfram. Sie haben die Eigenschaft, dass ihr elektrischer Widerstand auf 0 Ω (Ohm) abfällt, wenn sie extrem stark abgekühlt werden. So kann man starke elektrische Ströme durch sie hindurchleiten, ohne dass sich die Materialien erhitzen. Die Spule hat eine Gesamtmasse von vier Tonnen und besteht aus zehn Kilometer supraleitendem Kabel. Es wird dabei mithilfe
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