Die Entdeckung des Higgs-Teilchens: Oder wie das Universum seine Masse bekam (German Edition)
von flüssigem Helium auf seiner Betriebstemperatur, nahe –273 °C, gehalten.
Der Innere Detektor ist sieben Meter lang und hat einen Durchmesser von 2,3 Metern. Dabei sind die verschiedenen Nachweisgeräte wie Zwiebelschalen um die Strahlachse angeordnet. Nahe dem Kollisionspunkt werden hochauflösende, effiziente Halbleiterdetektoren verwendet. Halbleiter haben die Eigenschaft, dass sie je nach Temperatur leitend oder nichtleitend sind, sie finden Verwendung vor allem in Elektrotechnik und Solarzellen. Die im ATLAS verbauten Halbleiterdetektoren bestehen aus 100 Millionen kleinen rechteckigen Pixeln, die auf Siliziumchips angeordnet sind. Sogar bei hohen Dichten der Partikel können diese Detektoren die Teilchenspuren trennen und deren Koordinaten mit einer Genauigkeit von circa 14 Mikrometern bestimmen (das ist ungefähr die Dicke eines menschlichen Haares). An diese Pixellagen schließen sich fünf Lagen aus Silizium-Streifenzählern an. Sie funktionieren wie die Halbleiterdetektoren, haben jedoch eine größere Ortsauflösung von 30 Mikrometern.
Abbildung 18: Computerdarstellung des ATLAS-Detektors
© 2008 CERN, Genf, ATLAS-Experiment
Umschlossen sind die Siliziumdetektoren mit einem speziellen Schaum aus Polyäthylen, der einige hunderttausend dünne, mit Gas gefüllte Röhren beherbergt. Beim Durchgang von geladenen Teilchen wird das Gas ionisiert, und ein schwacher Strom fließt. Der Zeitpunkt des Signals und die Signalstärke erlauben einen Teilchennachweis und die Bestimmung der Position auf etwa 150 Mikrometer genau. Der spezielle Schaum dient dazu, auch hochrelativistische Elektronen abzubremsen. Sie erzeugen dabei Röntgenstrahlung, die im Gas ebenfalls zu Ionisation führt. Hochrelativistische Teilchen bewegen sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit. Damit fallen sie unter die Relativitätstheorie und heißen deshalb »hochrelativistisch«.
Konzentrisch auf den Inneren Detektor folgend sind die Kalorimeter angeordnet. Bei den im ATLAS verwendeten Kalorimetern handelt es sich um sogenannte »Sampling-Kalorimeter«. Dieser Typ ist abwechselnd aus zwei unterschiedlichen Materialien aufgebaut: Lagen mit Materialien hoher Dichte (etwa Blei oder Kupfer), den Absorberlagen, und solchen verhältnismäßig niedriger Dichte, den Nachweislagen. Absorberlagen dienen dazu, die Energie des einfallenden Teilchens aufzunehmen und es abzubremsen. Die Nachweislagen bestehen beispielsweise aus flüssigem Argon und messen die Energie der in den Absorberlagen erzeugten Teilchen. Da alle einfallenden Partikel etwas voneinander abweichende Richtungen haben, würde bei gleicher Energie jedes Teilchen ein unterschiedliches Signal produzieren. Um ein gleichförmiges Signal zu erhalten, wurden die verschiedenen Lagen erstmals in einem Zickzackmuster angeordnet. Somit ist das Kalorimeter richtungsunabhängig.
Das elektromagnetische Kalorimeter misst die Energie der einfallenden Photonen und Elektronen. Es besteht aus circa 190000 Auslesezellen, wobei jede etwa 2,5 × 2,5 Quadratzentimeter groß ist. Ausgebreitet würden diese Zellen eine Fläche von 118,75 Quadratmetern bedecken. Da jede Zelle mit einer individuellen Ausleseelektronik ausgestattet ist, erreicht der Detektor eine sehr hohe Ortsauflösung.
Eine weitere Neuerung des ATLAS-Detektors gegenüber bisherigen Kalorimetern dieser Bauart besteht in jener Ausleseelektronik, die ein weiteres Problem löst: das der Zeit. Alle 25 Nanosekunden findet eine Strahlkollision statt. In dieser Zeit kann eine Zelle jedoch nicht ausgelesen werden, da hierzu 400 Nanosekunden notwendig sind. Mit der neuen Ausleseelektronik kann die Auslesezeit der Zelle auf 40 Nanosekunden verkürzt werden. Leider hat diese Innovation einen großen Nachteil. Um die Energie des Teilchens genau zu rekonstruieren, muss für jede einzelne Auslesezelle bekannt sein, wie viel Strom sie beim Umwandeln der Energie des Teilchens in Strom »verliert«. Um dieses Problem zu kompensieren, wurde ein spezielles Kalibrierungssystem entwickelt.
Die äußerste Schicht der Detektorsysteme bildet das Myonenspektrometer. Myonen sind etwa 200 Mal schwerer als Elektronen und die einzigen Teilchen, die das Kalorimeter unbemerkt durchqueren können. Um sie nachzuweisen, wurde das charakteristische Toroid-Magnetsystem im ATLAS verbaut. Es besteht aus acht konzentrisch angeordneten supraleitenden Magnetspulen, mit je einer Länge von 25,3 Metern. Das gesamte System wiegt 830 Tonnen und enthält insgesamt 70 Kilometer
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