Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
Vom Netzwerk:
er versuchte, möglichst immer geradeaus zu fahren, mußte er irgendwann den Stadtrand erreichen, so groß war Den Haag ja nicht. Plötzlich erkannte er eine Kreuzung. Auf dem verlassenen Bürgersteig stand ein großer Mann in einem langen Mantel, der die Hand hob.

    Ein Räuber, dachte er, würde bestimmt nicht jetzt sein Opfer suchen, um ein Uhr nachts und bei Frost. Er gab Lichtzeichen, schwenkte mit einer schnellen Bewegung auf den Fahrbahnrand zu und hielt an. Im Spiegel sah er den Mann trabend näherkommen; er schaltete das Radio aus, lehnte sich über den Beifahrersitz und kurbelte das Fenster herunter.
    Onno beugte sich tief hinunter und sah in das schmale, fanatische Gesicht von Max. Es erinnerte ihn an einen Ibis, den ägyptischen Ibis religiosa mit dünnem Hals und gebogenem Schnabel; es ging etwas Gefährliches von ihm aus, wie von einer Axt. Max hingegen sah in das volle, herrschsüchtige Antlitz Onnos. Klassisch, ohne Wölbung, ging die Stirn über in eine gerade Nase; darunter befand sich ein ebenso klassischer, kleiner Mund mit gewölbten Lippen, kaum breiter als seine Nasenflügel. Das Gesicht kam ihm entfernt bekannt vor.
    »Wohin wollen Sie?«
    »Fahren Sie Richtung Amsterdam?«
    »Steigen Sie ein.«
    Onno machte einen Schritt zurück und nahm das Auto abfällig in Augenschein.
    »Aber nur unter Protest!«
    »Ich flehe Sie an«, sagte Max amüsiert.
    Als er nach einigen Mühen im Wagen saß, oder besser: lag, gab Max Vollgas, und das Auto raste davon wie ein Rennpferd.
    »Nette Karre«, sagte Onno mit einem Gesicht, in dem zu lesen war, daß er seinen Wohltäter für nicht ganz bei Trost hielt.
    Max lachte.
    »Ach, das ist noch gar nichts. Wenn ich einmal groß bin, kaufe ich mir einen weißen, offenen Rolls-Royce. Dann setze ich mich in einem weißen Pelzmantel in den Fond, und ans Steuer eine bildschöne Frau.«
    Mit schiefem Mund mußte auch Onno jetzt lachen und drehte den Kopf zur Seite. Er hatte bereits den Ansatz eines Doppelkinns.
    »Warum kaufen Sie nicht gleich einen Kinderwagen?«
    Max sah ihn kurz an. Sie hatten einander gefunden – das war der Moment. Wußten sie es, wußten sie es beide? Mit diesen wenigen Worten war eine Brücke geschlagen worden. Max wußte sich von Onno durchschaut wie von nie jemandem zuvor, und Onno fühlte sich von Max verstanden, weil seine aggressive Ironie nicht wie sonst immer auf Widerstand gestoßen war, sondern aufgefangen wurde von einem Lachen, das etwas Unverletzliches hatte. Sie hatten einander erkannt. Ein wenig verlegen schwiegen sie für einige Minuten. Als sie die pompöse Allee durch Wassenaar hinter sich gelassen hatten und auf die dunkle Autobahn kamen, beschleunigte Max auf hundertsechzig und sagte:
    »Ich habe das Gefühl, daß ich Sie von irgendwoher kenne.
    War Ihr Bild nicht vor kurzem in der Zeitung?«
    » Natürlich war mein Bild vor kurzem in der Zeitung«, sagte Onno in einem Ton, als ob er gefragt wurde, ob er lesen könne.
    »Aus welchem Anlaß?«
    »Das wissen Sie nicht mehr? Das haben Sie schon wieder vergessen?«
    »Ich bekenne, daß ich versagt habe.«
    »Mein Bild war in der Zeitung«, sagte Onno pathetisch, »weil ich in Uppsala einen Ehrendoktor erhalten habe.«
    »Darf ich Ihnen nachträglich gratulieren? Und wofür war der Ehrendoktor?«
    »Das wissen Sie also auch nicht mehr. Sagen Sie mal, was wissen Sie denn überhaupt?«
    »Fast nichts.«
    »Das war deshalb, weil ich das Etruskische verständlich gemacht habe. Die größten Geister der Welt waren dazu nicht in der Lage, sogar Professor Massimo Pellegrini in Rom war zu dumm dazu, also habe ich es eben gemacht.«
    Max nickte. Er erinnerte sich jetzt. Der große Mann im Rock, der mit gespielter Verwunderung den Pokal von einer Dame mit einem Barett auf dem Kopf entgegennahm, als ob es eine vollkommene Überraschung für ihn sei.
    Onno sah zur Seite. »Und Sie?« fragte er. »Womit verdienen Sie Ihre Brötchen? Ich kann mich nicht entsinnen, von Ihnen je ein Foto in einer Zeitung gesehen zu haben.«
    »Was für ein Schuft Sie sind«, lachte Max. »Ich arbeite in der Sternkunde.« Er deutete mit dem Kopf nach rechts. »Dort.
    In Leiden.«
    Onno schaute über die kahlen Felder zur Stadt hinüber.
    »Müssen Sie hier denn nicht abbiegen?«
    »Gott sei Dank lebe ich in Amsterdam. Dafür habe ich ein Auto.«
    Onno streckte die Hand aus und sagte:
    »Onno Quist.«
    Max drückte die Hand.
    »Delius, Max.«

3
Nach Hause bringen
    Auf interessierte Fragen nach seiner Entdeckung gab

Weitere Kostenlose Bücher