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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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jemand wie ich sich dann eigentlich mit dir unterhalten?« Plötzlich veränderte er den Ton, während er Max weiterhin ansah. »Weißt du, daß dein Gesicht überhaupt nicht zusammenpaßt? Du hast stahlharte, äußerst unsympathische blaue Augen, aber zugleich einen lächerlich weichen Mund, mit dem ich mich nur ungern zeigen würde.«
    Max sah zu ihm auf. Onno war fast um einen Kopf größer als er.
    »Das stimmt«, sagte er nach einem kurzen Zögern.
    »Nein, das stimmt nicht. «
    »Es stimmt, daß es nicht stimmt.«
    »Und deine Nase sollte am besten mit dem Mantel der Liebe zugedeckt werden.«
    »Jagdhunde haben immer lange Nasen, denn damit kann man besser riechen. Du solltest es nicht persönlich nehmen, aber ein Pekinese riecht gar nichts. Und übrigens, ich bin kein doctor cum grano salis , so wie du, dafür aber ein echter, so richtig mit Dissertation und so.«
    »Ich höre schon. Du bist einer von diesen armen Typen, die meinen, daß die Leistung ein größeres Verdienst ist als das Talent. Worüber hast du promoviert?«
    »Über Wasserstofflinien.«
    »Was um alles in der Welt ist das denn?«
    »Das kannst du nicht verstehen. Dafür muß man sehr gescheit sein.«
    Max vermeldete, er sei Astronom an der Sternwarte in Leiden. Er habe unlängst ein Angebot bekommen, fellow am Mount Palomar Observatorium in Kalifornien zu werden, wo ein Leidener Kollege von ihm mittlerweile das Sagen habe, der Entdecker der Quasare; aber er interessiere sich mehr für Radio-Astronomie, mit der man das Unsichtbare sehen könne, sogar tagsüber. Optische Astronomen seien blasse Nachtwächter, und wenn eine Wolke aufziehe, könnten sie sich wieder aufs Fahrrad setzen und gegen den Wind nach Hause radeln; außerdem habe er nachts etwas Besseres zu tun. Er fahre regelmäßig nach Dwingeloo in Drenthe, zum Radioteleskop. Bei Westerbork werde jetzt ein riesiges Synthese-Radioteleskop gebaut, das aus zwölf Spiegeln bestehe, von denen einer bereits fertig sei. Es werde das größte Instrument der Welt, von dem er sich viel verspreche.
    »Übrigens, du sagtest gerade, daß bei dir eigentlich alles im Krieg angefangen hätte – bei mir ist das vielleicht auch so.
    Mitten in der Stadt war der Himmel damals so klar wie jetzt vielleicht nur noch auf hoher See, oder auf dem Mount Palomar. Ich war irgendwann in einem Internat, bei den Patres.
    Wenn die nachts in der Kapelle die Messe sangen, wachte ich manchmal auf und lehnte mich aus dem Fenster. Ich glaube, daß diese stillen Nächte und die Sterne und dieses Gregorianische und dieser Krieg damals den Grundstein gelegt haben für meine Berufswahl, um es einfach mal so zu nennen. Vielleicht, weil die Sterne nichts mit dem Krieg zu tun hatten.« Bei dem Wort ›Sterne‹ schaute er kurz hinauf zum Himmel, aber vor der grauen Wolkendecke war jetzt nur der Widerschein der Stadt zu sehen.
    »Du bist also von Haus aus römisch-katholisch. Oder bist du es immer noch?«
    »Von Haus aus bin ich gar nichts.«
    »Wie bist du dann in diese Anstalt geraten?«
    Max schwieg. Er schlug den Kragen seines kamelfarbenen British Warm hoch, zog das Revers übereinander und hielt es mit seiner behandschuhten Hand fest.
    Unten in der Kapelle die Patres:

    Kyrie eleison , Kyrie eleison ,
    Christe eleison , Christe eleison.

    Am Himmel der Große Bär und Kassiopeia, der Polarstern – in dem die Achse des Himmelsgewölbes rotierte. Wo war seine Mutter?
    Er sah zu Onno.
    »Soll ich es dir erzählen?«
    Onno sah, daß er einen Nerv getroffen hatte.
    »Wenn es nicht für meine Ohren bestimmt ist, will ich es nicht hören.«
    Max wunderte sich jetzt über sich selbst. Nicht, daß er etwas zu verbergen hätte, aber es war für ihn nicht gerade ein Thema, um Konversation zu machen. Mit seinen Kollegen und Freunden sprach er nie darüber, von seinen Freundinnen ganz zu schweigen, und auch er selbst dachte eigentlich selten daran. Es war wie mit dem Talent, über das Onno gesprochen hatte: jeder Mensch war natürlich einzigartig, und das entdeckte er erst, wenn ein anderer sich in ihn verliebte, oder wenn sich nie jemand in ihn verliebte – aber auch außergewöhnliche Umstände konnten selbstverständlich erscheinen, einfach weil sie waren, wie sie waren; und auch dann entstand das Bewußtsein ihrer Außergewöhnlichkeit erst, wenn andere sie außergewöhnlich fanden. Auch ein Königssohn brauchte einige Zeit, bis er begriff, daß nicht für jeden im Land die Fahnen gehißt wurden, wenn er Geburtstag hatte.
    Die

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