Die Entdeckung des Himmels
Dieses Kind war damals achtzehn, und im Jahr darauf bekam sie ein Baby – aber infolge eines Schreibfehlers in meiner Abteilung starb dieser engelsgleiche Junge schon nach zwei Wochen den Wiegentod. Es wurde eine abscheuliche Ehe, es tut mir leid, das zu sagen. Es machte mir einmal mehr klar, was für ein Vorrecht wir genießen, weder Mann noch Frau zu sein. Aber der Fehler war notwendig für den zweiten Sohn, der 1933 geboren wurde, und den ich brauchte als Vater für unseren Mann auf Erden.
Warum war die Ehe so abscheulich?
Ohne Ihre Instruktionen hätte sie nie geschlossen werden dürfen. Die Leute heiraten ohnehin immer den Falschen, das ist bekannt, aber selten haben zwei Menschen schlechter zueinander gepaßt als diese beiden. Irgendwie müssen sich die junge Frau und ihr viel älterer Mann auf nicht mehr rückgängig zu machende Weise verletzt haben – gar nicht, weil sie etwas Bestimmtes sagten oder taten oder unterließen, sondern weil sie genau die waren, die sie waren. Sie haben geheiratet, weil wir das so wollten, aber sie selbst hatten davon natürlich keine Ahnung. Für Eva war das Entscheidende wahrscheinlich der interessante, düstere Hintergrund von Wolfgangs hellblauen Augen, die sich schließlich gegen sie wenden würden, und für Wolfgang war es gerade das Freie in ihr, das er letztlich nicht ertrug. Ihr Geist war zehnmal leichter und schneller als seiner, der schwer und verschlungen war wie ein Ankertau in einer Schiffsschraube – wie bei fast allen Österreichern seit 1918, die vor Haß und Selbsthaß in der Sadosachermasochtorte ihrer in Stücke gerissenen Doppelmonarchie erstickten, und die, dank der Raserei eines anderen Österreichers, einige Jahre später schon nicht mehr existierte. Wenn sie abends ausgehen wollte, vertiefte er sich lieber in Max Stirner. Während sie sich mit ihren gleichaltrigen jüdischen Freunden und Freundinnen amüsierte, las er, der Germane mit einem Monokel im Auge, über das Individuum als dem Einzigen und über sein Eigentum: die Welt. Nach Stirner brauchte sich niemand etwas vorschreiben zu lassen, durch wen oder was auch immer: das einzigartige Ego war souverän bis zum Verbrechen. Wenn sie nachts nach Hause kam, fand sie ihn manchmal schreiend im Schlaf, mit dem Kissen gegen die Italiener kämpfend. Vielleicht hätte sie etwas daran ändern können, bevor es verhängnisvoll wurde, aber sie tat es nicht. Vielleicht, weil sie dazu noch zu jung war; vielleicht auch, weil sie im Grunde viel mehr einzig war als er. 1939 verließ Eva ihren Wolfgang und nahm den sechsjährigen Sohn mit.
Schön. Und jetzt kommen wir zur werdenden Mutter.
Da brauchte ich glücklicherweise nicht so umständlich vorzugehen. Es gab eigentlich keine besonderen Probleme, und schon gar keine internationalen. Es betraf hier ausschließlich Niederländer, und bei diesem braven, geschäftstüchtigen Völkchen läuft alles etwas weniger heftig ab. Ich bestreite nicht, daß das auch daher kommt, weil ich sie aus dem Ersten Weltkrieg herauszuhalten gewußt habe; der Zweite war eigentlich ihr erster, nach dem im sechzehnten Jahrhundert gegen Spanien, das damals übrigens auch von einem halben Österreicher regiert wurde. Wenn sie auch noch vom Zweiten Weltkrieg verschont geblieben wären, wären sie wahrscheinlich genauso unzufriedene Jungfrauen geworden wie die Bewohner der Schweizer Täler.
Ich bin mir nicht ganz sicher , oh diese Betrachtungsweise einen angenehmen Eindruck bei mir hinterläßt.
Wenn Sie wollen, nehme ich die Äußerung zurück und behaupte das Gegenteil.
Das ist nun auch wieder nicht nötig.
Ich mußte nur ein wenig gegenlenken, um sie ins Leben zu rufen. Wieder ausgehend von demjenigen, den wir am Ende haben mußten, entdeckten wir in Kombination mit dem Erbmaterial von Delius junior als möglichen Großvater mütterlicherseits einen Kustos des Niederländischen Historischen Naturwissenschaftlichen Museums in Leiden: einen gewissen Oswald Brons, ohne bestimmte Absicht 1921 geboren.
Die notwendige Großmutter mütterlicherseits, Sophia Haken, lebte rein zufällig ganz in der Nähe, in Delft, wo sie 1923 zur Welt gekommen war, ebenfalls ohne bestimmte Absicht.
Wegen seines Alters war Brons am Ende des Krieges im Museum mehr oder weniger untergetaucht; oft schlief er auch dort, im Saal mit dem surrealistischen Gerät von Kamerlingh Onnes, mit dem Helium verflüssigt wurde und das genauso aussieht wie das Ungetüm auf dem rechten Seitenpaneel von Hieronymus Boschs
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