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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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lachten über uns.
    Hm.
    Der Glaube, das ist für Menschen ziemlich kompliziert, davon können wir uns kaum eine Vorstellung machen. Für uns gibt es schließlich keinen Glauben, nur Wissen.
    Ja , ja , ich merke schon , daß du nur am äußersten Rand des Lichts operierst. Aber mach weiter.
    Im April 1914 bekam ich Ihre Anweisung, und bereits im Juni sprang in Sarajevo ein Student aus der Nische, ein gewisser Gavrilo Princip, und erschoß den österreichischen Erzherzog. Beim Hören des Vornamens und des Nachnamens werden Sie eine gewisse innere Freude nicht unterdrücken können. Er war ein Anhänger Nietzsches, des unheimlichsten aller Gäste.
    Auch der Name Nietzsche scheint mir nicht ohne zusätzliche Bedeutung zu sein. Nitschewo. Das war dieser Nihilist , der seinerzeit die Geschichte verbreitete , der Chef sei tot. Nun , er war nicht weit von der Wahrheit entfernt – aber daß der Boss nicht sterben kann , ist nun gerade die abscheulichste Einschränkung seiner Allmacht. Er existiert durch das Paradoxon , aber dadurch muß er auch ewig existieren , ewig sterben.
    Innerhalb weniger Monate war das Gemetzel in vollem Gange. Ich konnte das Spektakel nicht nur dazu verwenden, um Wolfgang Delius und Eva Weiß miteinander in Kontakt zu bringen, sondern es auch für die nächste Generation nutzen, in der Niederländer eine Rolle spielen sollten.
    Niederländer? Ist das nicht ein wenig zu abwegig?
    Es war die einzige Möglichkeit. Der deutsche und österreichische Generalstab holten den alten Schlieffenplan hervor, der den Bruch der niederländischen und belgischen Neutralität vorsah, um so über einen Umweg Frankreich angreifen zu können. Aber für mein Projekt war die niederländische Neutralität ebenso essentiell wie der Bruch der belgischen, und über delikate Einflüsterungen in das Hirn von Moltke ist es mir gelungen, daß der Plan nur im Hinblick auf Belgien durchgeführt wurde.
    Mein Gedächtnis in Menschenangelegenheiten ist mittlerweile wie ein Sieb. Moltke?
    Generalfeldmarschall von Moltke, der deutsche Oberbefehlshaber. Wolfgang Delius – oder, wie er entsprechend den Gewohnheiten in seiner Heimat zu sagen pflegte: Delius, Wolfgang –, der gerade einen Titel an der Wiener Handelsakademie erworben hatte, wurde Berufssoldat und kämpft e an der italienischen, der russischen und der französischen Front. In Brüssel wurde er bei der Familie Weiß einquartiert, wo seine zukünftige Ehefrau noch mit einer Puppe am Boden spielte.
    Mit dieser Puppe übte sie praktisch schon. Delius war ein gutaussehender junger Offizier der berittenen Artillerie, hoch—dekoriert und mit silbernen Sporen an den Stiefeln, aber mit etwas außergewöhnlich Traurigem in seinem Blick, das jeder seinen Kriegserfahrungen zuschrieb und das damit auch tatsächlich etwas zu tun hatte, aber nicht nur. Es steckte eine noch tiefere, grundsätzlichere Niedergeschlagenheit in ihm.
    In seinem Ranzen hatte er Stirners Der Einzige und sein Eigentum. Der alte Weiß, längst froh, daß er wieder mit Landes- und Sprachgenossen zusammen war, fuhr inzwischen mit dem Militärgouverneur in einem offenen Auto über den Boulevard Anspach, und das entging den Brüsselern nicht.
    Der Krieg hatte seine Schuldigkeit getan, und als Österreich und Deutschland kapitulierten, geriet Weiß, wie vorgesehen, in ernsthafte Schwierigkeiten. Am Tag nach dem Waffenstillstand wurde sein gesamter Besitz konfisziert, und um einer Verhaftung zu entgehen, mußte er mit seiner Familie Hals über Kopf fliehen. In die Niederlande, wo ich sie haben wollte, es gab keine andere Möglichkeit. Mittlerweile zog Delius, zu Pferd und an der Spitze seiner Kompanie, in Richtung Deutschland.
    Aber sie kannten sich jetzt.
    Die Grundlage war gelegt. Zurück im kalten, hungernden Wien, bekam Delius eine Anstellung als Lehrer für Handelsrechnen an einer Privatschule für höhere Töchter und blieb immer in brieflichem Kontakt mit Weiß. Dem ging es in Amsterdam schon bald wieder gut. Zu Beginn der zwanziger Jahre ließ er seinen jüngeren Freund in die Niederlande kommen und gab ihm eine vorläufige Stelle als Buchhalter in seiner Diamanthandelsfirma. Mit der Unterstützung von Weiß gründete Delius wenig später ein eigenes Büro für Handelsvermittlungen mit Deutschland und Österreich. Innerhalb weniger Jahre wuchs es zu einem nicht unansehnlichen Unternehmen heran, Delius ließ sich naturalisieren und heiratete 1926 Eva Weiß, die sechzehn Jahre jüngere Tochter seines Wohltäters.

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