Die Entdeckung des Lichts
wiederholte es, bis er es flüssig sagen konn-te, Gnulletssuastä-Tizirtkele, wiederholte es weiter, um das Tempo zu steigern, und war schon sehr schnell, dann probierte er alle Betonungsmöglichkeiten, und dann hatte auch dieses Ungetüm von Laut jeden Sinn verloren und bot statt Erholung seinem unterbeschäftigten Geist nur Langeweile. Albert versuchte, es wieder loszuwerden, indem er über etwas anderes nachdachte. Unsichtbare Sachen, fand er, waren interessanter als sichtbare. Paris war nicht so interessant wie das Magnetische.
Einige Gottesfragen im Zusammenhang mit dem Magnetfeld hatten Albert den Nachmittag über beschäftigt. Sicher konnte Gott es sehen. Sonst hätte alles keinen Sinn. Welche Farbe es wohl hatte? Eine Farbe musste es haben, auch wenn sie blass oder durchsichtig war oder wie man das sagen sollte. Nur hatte die Farbe natürlich keinen Namen, denn Menschen, die die Namen erfanden, konnten es ja nicht sehen. Wieso nahmen die Erwachsenen es hin, Gott nicht fragen zu können? Sie gaben immer gleich auf. Dabei war das Magnetfeld mit dem Kompass seines Vaters und den Eisenspänen seines Lehrers gar nicht so unsichtbar, wie man erst dachte. Beim Einschlafen wünschte sich Albert, am Morgen magnetisch zu sein wie die Nadel im Kompass und das Magnetfeld zu spüren.
Aufgewacht war er mit dem Licht. Durch die schmalen Spalte der Läden schoss es ins Zimmer. Er hielt sich die Decke über den Kopf und war bereit, sich schlafend zu stellen, sollte die Tür aufgehen. Mal lugte er mit dem einen, dann mit dem anderen Auge, dann mit beiden ins Zimmer, das vom Licht durchquert wurde. Minutenlang beobachtete er, wie die im hellen Ausschnitt leuchtenden Staubteilchen langsam tanzten und strömten. Ohne sie war der Lichtstrahl nicht sichtbar. Oder es waren mehrere Lichtstrahlen, ein einzelner konnte es ja, breit wie das Fenster, kaum sein. Wie dick war ein Lichtstrahl? Der Lichtstrahl war nicht genau dasselbe wie das Licht , und erst wenn es auf einen Gegenstand fiel, der es ins Auge lenkte, sah man es.
Den Strom sah man auch erst, wenn er in der Maschine oder der Lampe ankam und etwas machte. Dass man das Magnetfeld und den Lichtstrahl nicht sehen konnte, störte Höchtl aber nicht wie die Unsichtbarkeit des Stroms.
»Steig ein«, sagte er ruhig, weil er glaubte, dass Albert vor der Kutsche zu versteinern drohte oder gleich eine seiner Fragen stellte, »verkühlst dich sonst noch.«
Wie Jakob hatte auch Albert das Gefühl, dass nichts wirklich schiefgehen und in Not geraten konnte, solange Höchtl da war. Und er war immer da. Wenn er einmal nicht da war, sagte man Albert schon automatisch: »Höchtl ist in Augsburg« oder nur: »Ist in Landsberg.« Letzte Woche hieß es am Montag, als Albert in der Halle nach ihm sah, »der Aloys, der ist in Italien«.
Er war nie richtig weg, etwas von ihm blieb auch an seinem Platz, wenn er unterwegs war. Er war auch dann immer noch da. War Höchtl etwa Gott? Womöglich sah er das Magnetfeld und den Lichtstrahl, nur den Strom nicht, der ja im Kabel war. Mit seinen Eltern würde Albert darüber nicht reden können. Wahrscheinlich würde nicht einmal Jakob darüber reden wollen, obwohl der ihm das Buch über die Sterne, Gott und die Ewigkeit gegeben hatte, in dem vorgerechnet wurde, dass das Licht von der Erde über eine Sekunde zum Mond brauchte, acht Minuten zur Sonne und Jahre oder Jahrhunderte zu manchem leuchtenden Punkt dort oben.
Das Buch erklärte, wie mit den Lichtstrahlen alle Bilder von ihm und den anderen auf ewig durch den Weltraum flogen. Was für ihn und die anderen ein Zeitpunkt war, kam im Weltraum einem Ort gleich. Gott konnte jederzeit an jedem beliebigen Punkt sein. Deshalb sah er alles, auch die ganze Vergangenheit.
Allein in der Berline sitzend und mit einem Fischmund Atemwolken zu Kugeln formend, beobachtete Albert im Zwielicht der Bogenlampe und der Dämmerung Höchtls Mütze, wie sie beim Bürsten des Pferdes aus dem Fensterausschnitt verschwand und gleich wieder auftauchte.
Die Erwachsenen kamen aus dem Treppenhaus, um nacheinander zu ihm in die Kutsche zu steigen, die sich bei jedem Tritt auf die Stufe weit zur Seite neigte, aber mit jedem neuen Passagier weniger weit. Auch Ida war jetzt dabei, Jakobs Frau.
»Träumst?«, fragte Alberts Mutter ihn, als Höchtl die Bürste weggebracht und den Dynamo abgestellt hatte, im Halbdunkel auf den Bock gestiegen war und wendete. Unter dem Klappern der Pferdehufe und Rattern der Räder holperten sie, nicht
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