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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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Institution bekam er den Auftrag, Wasser zu untersuchen. Er sollte Papier analysieren und Farbstoffe, Rost und Wein. Für den Sohn eines Schmieds waren das ehrenvolle Aufgaben, wie er fand, und wie Brande und Davy erst recht meinten. Er stürzte sich derart in die Arbeit, versenkte sich und verschwand im Labor, dass es sogar an ihm selbst gemessen wie Übereifer aussah. Es unterliefen ihm untypische Fehler. Er verschüttete Säuren, ließ Gläser fallen und vergaß Termine. Er vergaß zu essen und Briefe zu schreiben. Klein und schmächtig, wie er schon war, magerte er ab. Manchmal, wenn Brande ihn ansprach, war er so abwesend, dass er nicht reagierte oder um Verzeihung bat, der Professor möge sich bitte wiederholen. Davy, als er ausnahmsweise einmal da war, grinste.
    Faraday entschied, das Problem halte ihn nur auf, solange es ungelöst war. Er beschloss sich von Gott führen zu lassen, er sei es, der entscheiden würde, was geschehen sollte, schon am folgenden Sonntag.
    Gut vorbereitet traf er auf Sarah Barnard und schaffte es, beim Essen ein wenig mit ihr zu reden. Er stotterte nicht, konnte aber auch nicht verhindern, immer auf ihre Handgelenke zu starren, auf die Adern und Sehnen, wie sie in die Handflächen liefen, die er am liebsten geküsst und an seine Schläfen gedrückt hätte, auf ihre Schlüsselbeine, auf ihre Knöchel und die Füße, wie sie in den Schuhen steckten, während sie mit ihm redete. Er maß die Proportionen ihrer Arme und Beine zu ihrem Rumpf, fand das Verhältnis der Oberarme zu den Unterarmen heraus. Es war, wie es aussah, nicht besser denkbar. Er sah, wie Sarah aufstand, mit der einen Hand den Rock dabei glatt strich und die andere vor den Unterleib hielt, während sie sich auf der Suche nach ihrer Mutter umsah, eine Hand jetzt in der Luft, dann vor dem Mund, als müsse sie sich zusammenreißen, nicht einfach nach ihr zu rufen.
    Skandalös, wie ihn jede kleine Geste gefangen nahm. Er schämte sich dafür, ihr so nahe sein zu wollen. Was für eine Zumutung er war, und welche Zumutung, wie er auf das Spiel ihrer Kaumuskeln achtete, auf die Art, wie sich der Mund spitzte, auf den Lauf ihrer Nase von vorne, von der Seite und im Halbprofil, wieder auf ihre Schlüsselbeine, die er zwar eben schon beobachtet, doch offensichtlich nicht richtig und vollständig begriffen hatte. Wie die Sehnen und Adern in ihre Handgelenke liefen, sie hatte sich wieder gesetzt, die Hände lagen ineinander auf ihrem Schoß. Er wollte
sie nicht berühren. Ansehen genügte. Jahrelang ansehen. Mehr brauchte er zum Leben gar nicht. Wieso hatte er das nicht gewusst, wie konnte das überhaupt sein? Er atmete aus.
    Er sah, als sie den Kopf wieder zum ihm gewendet hatte, auf den Kragen ihrer Bluse, die Blässe ihrer Haut, wie sie jetzt unsicher lächelte und aufstand und wegging und dabei die Bewegung durch ihren kleinen Körper floss. Dazu ihre sanft reibende Stimme in seinem Ohr: Alles an ihr war reine Selbstverständlichkeit. Er fand sie perfekt und rätselhaft. Sie brachte ihn aus der Fassung. Der letzte gegenständliche, animalische Gedanke war eine Beschmutzung. Er versagte ihn sich.
    Das machte nichts besser. Abends schlief er nach Stunden erst ein. Er begann Alkohol zu trinken, was ihm nicht zuträglich war. Morgens um vier kam er ruckhaft zu sich: Sarah. Dann beobachtete er lange die Sterne im Fenster und hörte wieder der bald erwachenden Stadt zu, wie er es auch in der Weymouth Street immer getan hatte, wenn er nicht schlief und wusste, er konnte nichts ändern.
    Dass er nicht aß, schwächte ihn.
    Oft ging er seufzend um fünf ins Labor und begann das Tagwerk, weil nur das ihm Ruhe gab. Ganz werden, die Zerrissenheit loswerden, die ihn wohl seit dem Tod seines Vaters bestimmt hatte, das ging nur mit ihr. Er wusste das treppauf, treppab. Wenn es gehen würde. Würde es gehen? Er gewöhnte sich Mittagspausen an, in denen er im Haus nach oben stieg, sich entkleidete, ins Bett legte, und mit einem Tuch über den Augen zehn Minuten Schlaf bekam. Wenn er richtiges Glück hatte, schaffte er eine halbe Stunde. Danach waren die Nerven für kurze Zeit besser, vor allem die Augennerven schienen dauerhaft gereizt, als habe jemand Sand hinter die Augäpfel gerieben, immer öfter kniff er sie zusammen oder legte die Hand auf, um sie für einen Moment zu verschatten und das Hirn vom Strom der Bilder zu entlasten.
    Oft fasste er sich auf Höhe des Atlas an den Hinterkopf, auch da in den Nervenbahnen, zwischen Bandscheiben und

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