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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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Stahllegierungen, es war einer der häufigen Aufträge der Royal Society . Er beschäftigte ihn drei Jahre lang. Als Sohn eines Schmieds fand er das angemessen, und noch angemessener fanden es Brande und Davy. Das Labor organisierte er auf die praktischste Ausrichtung hin, alles war gut und übersichtlich sortiert, die wichtigsten Utensilien in greifbarer Reichweite vom Tisch. Er bemerkte, dass Quecksilber bei Zimmertemperatur verdampfte und eine Goldfolie amalgamierte. Immer war ein Geruch im Raum, der vom letzten Experiment stammte. Es roch nach Chlor oder Eisen oder Schwefel oder Öl und Benzin und Petroleum. Der schwere Geruch ging erst weg, wenn ein neues Experiment gemacht wurde und neue Gerüche sich über die alten legten.
    Sonntags sah einmal die Schwester seines Freundes Edward Barnard, der Mitglied der City Philosophical Society war, Faraday in die Augen und erblickte offenbar etwas darin. Er erschrak. Er fühlte sich erkannt, neu erkannt: fremd.
    Halbwegs vergaß er es wieder, versuchte das zumindest, aber in der Woche darauf wiederholte es sich. Ein Blick, als kennte sie ihn aus einem anderen, sträflicherweise vergessenen Leben.
    Konnte das sein?
    Konnte er erkannt werden, wie seine Mutter ihn oder er selbst sich nicht kannte? Er wagte nicht den Versuch, alle Regungen, die dieser Blick in ihm auslöste, zu benennen, und wischte die Sache
in seinem Kopf so gut weg, wie er konnte.
    Er konnte es gut.
    Plötzlich starb Abbotts Mutter. Faraday hatte sie alle bei guter Gesundheit gewähnt, fragten sie einander doch in jedem Brief danach. Obwohl Abbott genug Trost in sich hatte und auf die Gefahr hin, nur Gefühle aufzurühren, bot Faraday ihm seine Trauer und sein Beileid an: Beim Gedanken an seine eigene schwache Konstitution, die schon vergangene Zeit und das wahrscheinliche nahe Ende aller irdischen Dinge spüre er keine wirkliche Unruhe: »Man ist nur in einem anderen Land.« Und solange das Philosophieren und Moralisieren die Dinge nicht ändere, würde die Welt über das Gerede und alles andere halt auch nur lachen. Meinte er.
    Davy wollte, dass Faraday ein paar reife Trauben einer Eberesche aus dem Kensington Garden holte und analysierte. Der irische Chemiker Michael Donovan behauptete, Sorbinsäure aus ihnen gewonnen zu haben. Dabei müsse es, so Davy, Apfelsäure sein: Faraday sei ein besserer Chemiker als Mister Donovan. Er fand Apfelsäure.
    Er begann schlecht zu schlafen, wachte nach zwei Stunden auf, lag mal eine, mal zwei, mal drei Stunden wach, schlief erst im Morgengrauen wieder ein, musste dann zerschlagen ins Labor. Das kam, variierte in der Stärke, blieb da.
    Am Sonntag traf er die komplette Familie Barnard vor dem Gottesdienst. Sarah stand an der Seite ihres Bruders vor dem Haus, in dem die Gemeinde einen Raum hatte, in der Sonne, ihre Eltern mit dem kleineren Bruder George einen Schritt dahinter. Sie lächelte, nickte ihm freundlich zu.
    Guten Tag, Frau Barnard. Guten Tag, Herr Barnard. Guten Tag, Frau Faraday.
    »Guten Tag«, sagte Sarah.
    »Guten Tag«, stellte er sich vor, »Michael.«
    »Ich weiß.«
    Sie lächelte vorsichtig, aber das war es nicht. Edward nahm ihn kumpelhaft in den Arm. Alle gingen hinein, setzten sich, schlugen die Blicke nieder. Sarah tat das nicht, ohne sich nach ihm umgeschaut und schnell wieder abgewendet zu haben, nachdem ihr Blick den seinen getroffen hatte, der nichts sagte, gar nichts. Das Reden und Rascheln, die Geräusche von zweihundert Menschen, die sich zurechtsetzten und ihre Bibeln an der vom Ältesten genannten Stelle aufschlugen, ließen nach. Alle warteten auf den Vortrag, der, sobald es ganz still war, klagend begann. Eine halbe Stunde später bewegte er sich auf eine Steigerung zu. Die Gemeinde ergab sich in den Mahlstrom der Traurigkeit und bedingungslosen Hingabe, die hier im Saal Einigkeit schufen. Keinen aus der Gemeinde störte die kühle, feuchte Luft der schmucklosen Halle.
    Margaret Faraday bemerkte mehr als ihr Sohn selbst, dass er abgelenkt und unruhig war. Sie freute das. Elizabeth, die ältere der Töchter, hatte in der Gemeinde geheiratet, Robert ebenfalls. So sollte es sein. Zusammen sangen sie Psalmen, wie sie es auf ewig tun würden. Dann folgten die Ermahnungen, die der Älteste ausgearbeitet hatte. Bei der Fußwaschung vermieden Sarah Barnard und Michael Faraday direkten Kontakt.
    Nach drei Stunden fanden sich alle Gemeindemitglieder im Nebenraum zum gemeinsamen Essen ein. Edward Barnard tauchte neben Faraday auf, legte ihm

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