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Die Entdeckung des Lichts

Die Entdeckung des Lichts

Titel: Die Entdeckung des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Bönt
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eine Hand auf die Schulter. Sie tauschten einen brüderlichen, kaum von ihnen selbst wahrgenommenen Blick, setzten sich gemeinsam und aßen erst ganz wortlos, dann tauchten sie wortkarg Brot in die Suppe, ohne dass Faraday sich später genau hätte erinnern können, was sie gesprochen hatten. Die gerade gehörten Ermahnungen und Appelle lagen wie eine Decke auf ihnen. Gegenständliches wie Frankreich, Gesundheit, Krankheit oder Wetter, schlecht gehende Geschäfte oder Armut existierten hier nicht. Hier waren sie nur, was strengste Forderung Robert Sandemans war: eins.
    Keine Meinungsverschiedenheit würde jemals die Gemeinde belasten.
    Als nach dem Essen Sarah neben ihm auftauchte, versagte Faraday die Stimme. Keinem blieb das verborgen. Dabei hatte sie in
ihrer auffallenden Freundlichkeit nur vorschlagen wollen, den Nachtisch zu holen. Dass es ihn gab, war eine Ausnahme.
    Erbost über sich selbst ging Faraday nach draußen, um vor der Nachmittagspredigt noch an der Luft zu sein, die er wieder nötiger hatte in letzter Zeit. Seine Mutter gesellte sich zu ihm, als er überlegte, wieso ihm Sarah nicht vorher aufgefallen war. Sie hatte doch immer schon hier gewesen sein müssen. Auf der Straße stritten sich zwei Jungen um einen Ball, versöhnten sich, stritten wieder und beachteten die beiden Sandemanier nicht.
    Es hatte zu regnen angefangen. Ein schmutziger, magerer Hund streunte vorüber, wollte sich Faradays Fuß nähern und wurde mit einer raschen Bewegung verscheucht. Mit eingezogenem Kopf und Schwanz trottete er, aufmerksam um sich schauend und mit federndem Rumpf, weiter. Nach einigen Minuten sagte Margaret: »Gehen wir rein.«
    Faraday hatte gerade das zuvor angewinkelt an der Wand stehende rechte Bein wieder auf den Boden gesetzt und den Oberkörper von der Wand abgestoßen, als er möglichst lässig fragte: »Kennst du Sarah Barnard schon länger?«
    »Sie hat das Glaubenbekenntnis abgelegt«, sagte Margaret. Das war etwas, das sie sich selbst bislang nicht zugetraut hatte, und auch Faraday hatte es bislang nicht getan. Kurz bevor beide sich umwandten, um zurück ins Haus zu gehen, trafen sich ihre Blicke.
    Die Barnards hatten sich schon gesetzt, als sie in den Gemeinderaum kamen, um weitere drei Stunden Predigt und Gesang zu zelebrieren, nach der Kollekte das Abendmahl einzunehmen und einander den heiligen Kuss zu geben, der die Einigkeit aller im Herrn und die Vergebung der Sünden bestätigte. Sarah Barnards Aufregung funkelte in ihren Augen und sprang unruhig dem Moment entgegen, den Kuss mit Michael Faraday auszutauschen. Sie war neugierig auf diesen rätselhaften Mann, der verschlossen wirkte, dessen Blick aber heller strahlte als andere.
    Mit der Neugier ging es ihm nicht anders, sonst schon. Das Unkalkulierbare verunsicherte ihn. Der Versuch, sich nichts anmerken zu lassen, forderte ihn ganz, und wie deutlich Sarah und Margaret dies spürten, nahm er nicht wahr. Schnell verabschiedete er sich, um vom Gemeindehaus direkt zu Abbott zu gehen und über Metalle und Gase zu sprechen, über Reaktionen, Farben, Gerüche und die Moral.
    Als er spät die Tür in der Albemarle Street aufschloss, um durch das große stille Haus in die Zimmer unterm Dach zu steigen, war etwas mit ihm, das er nicht kannte. Nicht so jedenfalls. Das walisische Mädchen hatte einen Platz vorbereitet, den Sarah Barnard ungefragt einnahm. Er schlief nicht besser.
    Am nächsten Tag kamen die Freunde in der Dorset Street zusammen. Edward bestellte ihm einen Gruß seiner Schwester, und das ganz zwanglos, in einem günstigen Moment, so nebenbei. Faraday tat, als gebe das zu keiner großen Regung Anlass, er ließ einfach und ebenso freundlich zurückgrüßen.
    Er korrespondierte mit Davy, schrieb einen Artikel über die Phonetik einer Flamme in einer Röhre, der in der Literarischen Gazette herauskam, er korrespondierte mit dem französischen Wissenschaftler Charles-Gaspard de la Rive, der dies bei seinem Besuch in London gewünscht hatte. Auf dem Dach der Institution installierte Faraday einen Blitzableiter, den er durch den Kamin führte, ohne die Wand dabei zu berühren, und im Keller an eine Leidener Batterie anschloss. Nächtelang saß er dort unten, bis endlich ein Blitz einschlug und die Batterie auflud.
    Schon Galvani hatte Blitze durch Froschschenkel in seinen Brunnen geleitet: Große Sache, wenn man Blitze einfinge und statt Muskeln von toten Fröschen künstliche Muskeln bauen könnte, die Arbeit verrichteten, zum Beispiel in den

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