Die Entdeckung des Lichts
bedankte sich für die kleine Arbeit, eine Spekulation über elektrisches Leitvermögen, die er ihr im Frühjahr gesandt hatte, und die sie mit der »tiefsten Aufmerksamkeit« gelesen habe, die für ihre eigene Zukunft als Analystin eigenartige und vielleicht wichtige Betrachtungen angeregt habe, die vielleicht nie jemand mit so viel Wertschätzung für ihre praktische Seite gelesen habe wie sie und für deren Autor sie einen Respekt empfinde, welcher der Ehrfurcht nicht in viel nachstehe. Es gebe Situationen im Leben, wenngleich es tatsächlich sehr wenige seien, in denen die charakterliche Übereinstimmung und die der Interessen direktes Sprechen des einen Geistes zum anderen erlaubten, ohne auf die normalerweise sehr notwendigen und nützlichen Beschränkungen des äußeren Umgangs zu achten.
»Sie werden«, meinte die Gräfin selbstbewusst, »so freundlich sein, mich einfach als eines der Kinder Gottes zu sehen. Im Zufall, ein Bewohner dieses Planeten zu sein, dieser besonderen Ecke Englands, die weibliche Form des Menschlichen zu repräsentieren, bin ich nur eine der vielen Kreaturen nach Gottes Formel des moralischen Wesens, das mit seinesgleichen in Beziehung stehen kann und mit Ihm.«
Schon lange lebe sie im Tempel, dem Tempel von Wahrheit, Natur, Wissenschaft! Und jedes Jahr nehme sie das Gelöbnis genauer, bis jetzt, wo sie das Tor und die Mysterien passiere, die einen Rückzug ausschlössen, und sie dieses Leben, diese ihre Seele, fürderhin auf den Altar der ungeteilten, unerschöpflichen Wissenschaft lege.
Faradays Augen suchten Halt: »Ich hoffe, als Hohepriesterin von Gottes Schöpfung auf dieser Erde zu sterben und das Recht erworben zu haben, meiner Nachwelt das Motto Dei Naturaeque Interpres zu hinterlassen.«
Er las weiter und erfasste weniger genau den Inhalt der einzelnen Sätze von Anfang bis Ende, als dass er den Ton im Ohr hatte: Die Initiation freilich sei streng und langwierig und werde ihre Kräfte vielleicht übersteigen.
Sie wollte einmal in der Woche einen Tag mit ihm arbeiten oder alle zwei Wochen einen. Sie würde jede seiner Arbeiten lesen, seine Aufmerksamkeit für sie solle ihn nicht ablenken, im Gegenteil, sie wolle »die Welle seiner Existenz nicht um den kleinsten Winkel aus ihrer Richtung bringen. Wenn aber meine Welle in manchen ihrer Punkte der Ihrigen folgen und sie berühren kann, damit sie einander kräftigend ergänzen, dann, ja, dann ist alles gut«.
Faraday drehte den Zettel einmal um und wieder zurück, las noch einmal Anschrift und Anrede, Absender und Zeichnung, es war wirklich ein Brief der Gräfin Lovelace, gerichtet an ihn.
Natürlich, las er, würde sie alle Termine nach ihm richten und in der Stadt sein, wann und wie er es wünsche. Ihr eigenes Interesse seien übrigens das Nervensystem und seine Beziehungen zu den eher okkulten Einflüssen der Natur, die sie mit der Mathematik zusammenbringen wolle, aber das müsse noch privat bleiben. Natürlich sei das eine Lebensaufgabe, die sie aber hoffentlich zu Ende bringe, bevor ihr Tod sie zu einem strahlenden, brennenden Licht der Menschheit mache.
Faraday saß auf einem Schemel, der in der Nähe gewesen war, als Anderson ihm den Brief gegeben hatte. Nun stand er auf und ging in das Magnetische Laboratorium hinüber, um die letzten Absätze allein zu lesen: Sie wollte auch über Religion mit ihm reden. Ob nicht der höchste und durchdringendste Grad an Intellekt nur zu erreichen sei, wenn man zu einem höheren spirituellen und moralischen Stand käme, als man normalerweise überhaupt anvisieren würde? Er sei der einzige Philosoph, der ihr dieses Gefühl in seiner vollen Kraft gebe, und sie hoffte, nichts falsch verstanden zu haben, denn wenn sie hier übereinstimmten, so seien sie in der wissenschaftlichen Welt ein wohl einzigartiges Paar.
Er sah kurz um sich, er war allein.
Sie wisse nicht, schloss die Gräfin Lovelace, in welcher Sekte er sei, fand aber, das spiele auch keine Rolle. Sie selbst sei ein bisschen swedenborgisch, ein bisschen römisch-katholisch und habe auch Allianzen mit den frühen Rosenkreutzern: Keiner sei je vollkommen im Recht oder im Unrecht. Schließlich sende sie ihm keine Entschuldigung für diesen langen Brief, sie empfinde keine Notwendigkeit.
Er stand auf, faltete den Brief zusammen, steckte ihn in die
Tasche seines Kittels und setzte, ohne ein Wort zu verlieren, die Arbeit mit Anderson fort. Sie hatten Probleme mit dem Quecksilberröhrchen, das zu verdreckt war, um den Druck
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