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Die Entfuehrten

Titel: Die Entfuehrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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fragte sein Vater mit der gleichen obergeduldigen und obervorsichtigen Stimme, die er früher immer benutzt hatte, wenn Katherine als Kleinkind einen Wutanfall bekam.
    Nein
, wollte Jonas sagen.
Sag ihm, er kann sein Wissen für sich behalten. Sag ihm, wenn er im Augenblick gerade keine Terroristen jagen muss, wäre ich froh, wenn er sich um die Person kümmern könnte, die dreizehnjährigen Jungen seltsame Briefe schickt. Sag ihm . . .
    »Ja«, sagte Jonas.

Neun
    Jonas saß auf einem Stuhl mit Kunststoffsitzschale. Seine Mutter hatte rechts und sein Vater links von ihm Platz genommen, und Jonas wusste, dass sie beim geringsten Zeichen der Ermutigung nach ihm greifen und seine Hände halten würde, so wie damals, als sie ihn das erste Mal in den Kindergarten gebracht hatten.
    Jonas achtete peinlich genau darauf, seine Hände im Schoß zu behalten, so weit weg von den Händen seiner Eltern wie möglich. Er sah stur geradeaus und hoffte, dass das FBI keine Möglichkeit hatte, festzustellen, dass er den Mann, auf den er wartete, schon einmal angewählt hatte.
    Von Rechts wegen, dachte Jonas, müsste Chip hier bei ihm sein und in diesem nüchternen Amtszimmer auf das Treffen mit James Reardon warten. Was immer James Reardon über Jonas wusste, er hatte wahrscheinlich die gleichen Informationen über Chip.
    Es wäre . . . angenehmer . . . wenn sie die Fakten gemeinsam erführen.
    Informationen . . . Fakten . . . Ich will einfach nurwissen, wer ich bin, dachte Jonas. Und warum ich diese Briefe bekommen habe. Weiß James Reardon das? Weiß er, wer Chip ist?
    Chip saß auf keinem der Formschalenstühle in Jonas’ Nähe. Jonas war keine Möglichkeit eingefallen, seine Eltern zu überzeugen, dass sein neuer Freund, den er selbst kaum drei Monate kannte, an dieser intimen Unterredung, die Jonas möglicherweise die tiefsten und dunkelsten Geheimnisse über seine Vergangenheit enthüllen würde, teilnehmen sollte.
    »Vielleicht solltest du ihnen einfach die Wahrheit sagen«, hatte Chip als letzte verzweifelte Möglichkeit vorgeschlagen.
    Jonas hatte diesen Gedanken eine Millisekunde lang erwogen.
    Seinen Eltern die Wahrheit zu sagen würde bedeuten, ihnen erzählen zu müssen, dass er daran mitgewirkt hatte, den Safe anderer Leute aufzubrechen. Und dass ihre neuen Nachbarn – die Mom mit frischem Bananenbrot in der Nachbarschaft willkommen geheißen hatte –, dass dieselben Nachbarn ihren Sohn sein Leben lang belogen hatten. Außerdem würde er ihnen sagen müssen, dass er Drohbriefe erhielt und fürchtete, entführt zu werden.
    Wenn er seinen Eltern das alles erzählte, würde er damit nicht erreichen, dass Chip ihn zu dem Treffen mit James Reardon begleiten durfte. Er würde nicht einmal selbst daran teilnehmen dürfen. Stattdessenwürden sie ihn, zur Strafe oder zum Schutz, einschließen.
    »Nein«, hatte er zu Chip gesagt. »Das kann ich nicht. Aber ich verspreche dir, dass ich dir alles erzählen werde, was dieser Kerl von sich gibt. Und dann kannst du deine Eltern überreden . . .«
    »Für meine Eltern ist das Thema Adoption tabu, schon vergessen?«, erwiderte Chip barsch. »Wir können nicht mal zu dritt darüber sprechen. Wie kommst du auf die Idee, dass sie dann mit mir zum FBI gehen würden, um darüber zu reden?«
    Also wartete Chip nicht zusammen mit Jonas. Doch es gab eine vierte Person, die auf einem Stuhl neben Dad Platz genommen hatte: Katherine.
    Sie hatte einen Anfall bekommen, als die Eltern ihr von dem Treffen erzählt und erklärt hatten, dass sie eine Weile allein zu Hause würde bleiben müssen, während sie mit Jonas unterwegs waren.
    »Wahrscheinlich sind wir rechtzeitig zum Abendessen zurück«, hatte Mom gesagt. »Aber falls du schon früher Hunger bekommst, gibt es noch Reste vom Chili.«
    »Nein«, hatte Katherine erklärt.
    »Gut, wenn du kein Chili willst, gibt es noch . . .«
    »Ich rede nicht vom Essen«, sagte Katherine verärgert. »Ich meine, nein, ich bleibe nicht hier. Ich komme mit euch.«
    Die Eltern sahen sich an.
    »Das hat mit dir eigentlich nichts zu tun, Katherine«, sagte Dad. »Hier geht es um Jonas.«
    »Aber er ist mein Bruder und ich gehöre schließlich auch zur Familie. Und alles, was ihn betrifft, wirkt sich auch auf mich aus, oder nicht?«, hatte Katherine eingewandt und dabei die Arme ausgebreitet, als wollte sie eine Familie beschreiben, die so groß war wie die ganze Welt.
    Komisch, dachte Jonas. Als wir damals im Haus Softfootball gespielt haben und ich die Lampe

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