Die Entfuehrten
aufging, hatte Jonas die Flasche geleert. Dieses Mal erschien ein Mann im Anzug im Türrahmen.
»Mr und Mrs Skidmore?«, fragte er und streckte den Arm aus, um ihnen die Hand zu schütteln. »Ich bin James Reardon. Bitte kommen Sie mit.«
Die Skidmores folgten Mr Reardon durch einen langen Gang. Die Büros links und rechts lagen allesamt im Dunkeln und die Türen waren geschlossen, als seien alle anderen schon nach Hause gegangen. Seine Mutter musste es auch bemerkt haben, denn sie sagte: »Wir sind Ihnen wirklich dankbar, dass Sie länger geblieben sind, damit mein Mann und ich nach der Arbeit kommen konnten. Wir hätten wirklich . . .«
»Kein Problem«, sagte Mr Reardon. Er führte sie in das einzige hell erleuchtete Büro, ein großes Zimmer, das von einem riesigen Schreibtisch dominiert wurde. Er schloss die Tür hinter ihnen. »Bitte nehmen Sie Platz.«
Vor dem Schreibtisch standen nur drei Stühle, sodass Jonas sich einen vierten herüberziehen musste, der rechts neben einem Sofa gestanden hatte.
Hätte Katherine sich nicht den zusätzlichen Stuhl besorgen können?, dachte er erbost. Sie ist schließlich die zusätzliche Person!
Plötzlich schien er seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle zu haben: Er war so wütend auf Katherine, so sauer auf Mom und Dad, weil sie brav auf ihren niedrigen Stühlen hockten und zu Mr Reardon aufsahen wie kleine Kinder, die man ins Büro des Schuldirektors geschickt hatte. Am liebsten hätte er einfach herausgebrüllt: »Was wissen Sie über mich?«
Nein, das wollte er nicht. Er hatte viel zu viel Angst davor, wie Mr Reardon darauf reagieren könnte.
Wütend, sauer, ängstlich, verwirrt . . ., zählte Jonas sich auf. Möchten Sie noch Pommes dazu?
Jonas musste unwillkürlich grinsen. So konfus und seltsam es in seinem Hirn auch zugehen mochte, konnte er sich immerhin noch ab und zu selbst zum Lachen bringen.
Mr Reardon räusperte sich. Jonas hörte auf zu grinsen.
»Ich hielt es für wichtig, dieses Treffen anzuberaumen«, sagte Mr Reardon mit sanfter, weicher Stimme, wobei er sie der Reihe nach ansah, erst Mom, dann Dad, dann Jonas und schließlich Katherine. »Ihr Anruf, Mr Skidmore, hat mir vor Augen geführt, dass gewisse, äh, unangemessene Informationen herausgegeben wurden.«
Dad beugte sich vor. »Sie meinen . . .«
Mr Reardon hob die Hand, als sei es nur ihm erlaubt, zu sprechen.
»Bitte lassen Sie mich ausreden«, sagte er. »Ich habe diesem Treffen zugestimmt, um Ihnen zu versichern, dass wir keineswegs versuchen, Informationen vorzuenthalten, die Ihnen zustehen. Andererseits müssen Sie verstehen, dass Angelegenheiten der nationalen Sicherheit ein gewisses Fingerspitzengefühl erfordern. Und . . .«
»Der familiäre Hintergrund unseres Sohnes ist eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit?«, fragte Mom ungläubig.
Mr Reardon wandte für einen Moment den Blick ab und sah Mom dann tief in die Augen. Das erinnerte Jonas an eine Parodie, die er einmal in der Zeitschrift MAD gesehen hatte und die Kindern beibringen wollte, wie man besonders überzeugend log. »Schau deiner Zielperson tief in die Augen«, war eine der ersten Regeln auf der Liste gewesen.
»Das habe ich nicht gesagt«, sagte Mr Reardon begütigend,die Augen immer noch fest auf Moms Gesicht gerichtet. »Das ist natürlich lächerlich. Soweit ich informiert bin, war seine Adoption eine absolute Routineangelegenheit. Aber es waren mehrere Regierungsbehörden involviert . . . im Vorfeld . . . und dass einige davon ein gewisses Maß an Geheimhaltung benötigen, liegt in der Natur unserer Tätigkeit. Darum geht es. Im Grunde genommen hätten Sie meinen Namen nie erfahren dürfen.«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und warf ihnen über die riesige Fläche seines Schreibtisches hinweg ein entschuldigendes Lächeln zu.
»Damit ich das richtig verstehe«, sagte Mom. »Sie sagen, das FBI hatte eine Verbindung zu Jonas’ Leben, ehe er in unsere Familie kam, aber es ist Ihnen nicht gestattet, uns zu sagen, worin sie bestand? Finden Sie nicht, dass er ein Recht darauf hat, das zu erfahren?«
Moms Stimme klang jetzt nicht mehr ganz so verbindlich. »Damit ich das richtig verstehe«, war der Ausdruck, den sie verwendete, wenn sie den Eindruck hatte, dass Jonas und Katherine es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nahmen. (»Damit ich das richtig verstehe: Du hast, laut Küchenuhr, um halb vier angefangen Trompete zu spielen, und ich soll dir glauben, dass du eine volle halbe Stunde im
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