Die Entfuehrten
Mittelschule«, sagte sie. »Uns wurde gesagt, dass hier ein dreizehnjähriges Mädchen einzieht, und wir wollten nur vorbeischauen und dafür sorgen, dass sie sich in Liston wohlfühlt. Haben wir uns im Datum geirrt? Wissen Sie, wann die McCarthys einziehen?«
»Na, davon weiß ich nichts«, sagte die Frau. »Ich meine, ich hätte gehört, dass beim Kauf der Papierkram irgendwie durcheinandergeraten ist, was die Sache verzögert hat, aber das geht mich natürlich nichts an.« Sie musterte die drei mit strengem Blick. »Und euch auch nicht.«
Freitagnachmittag schob Jonas seine Mathehausaufgaben beiseite und schrieb auf einen Zettel:
HK,
wir könnten hier ein bisschen Hilfe gebrauchen. Hinweise? Tipps? Kannst Du uns nicht irgendwie weiterhelfen?
Dann zerriss er den Zettel und warf die Schnipsel in den Papierkorb neben seinem Schreibtisch. Woher sollte HK wissen, dass sie ihn HK nannten? Und was war, wenn stattdessen F die Nachricht fand?
Es war ein Glück, dass er das Beweisstück so schnell vernichtet hatte, denn kurz darauf steckte seine Mutter den Kopf zur Tür herein.
»Jonas, ich wollte nicht vor Katherine darüber sprechen, aber dieser Flyer war heute in der Post.« Sie hielt ein glänzendes Blatt in der Hand. Jonas konnte die Überschrift schon von Weitem erkennen:
Adoptivkinder an der Schwelle zur Pubertät. Eine Konferenz für Heranwachsende und ihre Eltern.
»Es gehört zu einer Veranstaltungsreihe, die von der Sozialbehörde der Bezirksverwaltung organisiert wird«, sagte sie. »Diese Konferenz ist nur für Familien aus Liston, Clarksville und Upper Tyson gedacht, also wäre dort wahrscheinlich kein allzu großer Rummel. Du hast in letzter Zeit so . . . verstört gewirkt. Seit dem Treffen mit Mr Reardon. Das soll kein Vorwurf sein; mir ging es mit diesem Mann nicht anders! Aber du hast schon vorher Fragen über deine Adoption gestellt . . . Und in sämtlichen Büchern steht, dass viele Adoptivkinder in der Pubertät anfangen, mit ihrer Identität zu hadern. Ich denke, wir sollten dort hingehen. Du, Dad und ich.«
Liston, Clarksville und Upper Tyson, dachte Jonas. Perfekt.
»Okay«, sagte er und gab sich alle Mühe, sein Interesse zu verbergen. Er musste zögerlich klingen, überredet, vielleicht sogar immer noch verstört. Er versuchte so zu tun, als sei ihm gerade etwas eingefallen, das ihn aber nicht weiter interessierte: »Sag mal, können wir davon eine Kopie machen? Chip und seine Eltern wollen sicher auch daran teilnehmen.«
Vierundzwanzig
»Und wenn es eine Falle ist?«, fragte Katherine.
»Wie soll es eine Falle sein?«, fragte Jonas. »Es wird von der Bezirksverwaltung unterstützt.«
Die beiden spielten eher lustlos Basketball in der Auffahrt. Ihre Mutter hatte sie hinausgescheucht: »Raus mit euch! An die frische Luft! Ihr beide seid in letzter Zeit so trübsinnig. Ich glaube, ihr bewegt euch nicht genug!« Also standen sie unter dem Korb, vergaßen aber immer wieder zu dribbeln oder zu werfen.
Chip hatte einen Termin beim Zahnarzt, deshalb hatten sie ihm die Neuigkeit von der Konferenz noch nicht erzählen können.
»Die Bezirksverwaltung«, schnaubte Katherine und beförderte den Ball mit einem heftigen Stoß in Jonas’ Richtung. »Klar, aber die Listen mit den Überlebenden und den Zeugen haben wir vom FBI, und die gehören auch zur
Regierung
. Woher sollen wir wissen, dass die ganze Sache nicht von F eingefädelt wurde?«
Woher sollen wir wissen, dass die Regierung nicht hinter allem steckt?, fragte sich Jonas, oder dass sie Fnicht geholfen hat, unsere Telefone anzuzapfen? Woher sollen wir wissen, ob die Zeitreisenden, HK oderF oder alle beide, die Regierung nicht manipulieren können, wie es ihnen passt, oder ob wir uns überhaupt auf etwas verlassen können?
Es kümmerte ihn nicht mehr. Er würde auf jeden Fall an dieser Konferenz teilnehmen. Er war es leid, sich ratlos zu fühlen.
Zu Katherine sagte er: »Ich habe auf der Webseite der Bezirksverwaltung nachgesehen. Die Konferenz steht seit über einem Jahr in ihrem Veranstaltungskalender. Ziemlich schwer, das als Falle zu konstruieren.«
»Auf der Webseite der Bezirksverwaltung?« Katherine fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Dann hast du also auf unserem Computer eine Spur hinterlassen.«
»Keine Sorge, ich bin noch mal reingegangen und habe sämtliche Daten über die Browsernutzung gelöscht. Ein Junge in der Schule hat mir gezeigt, wie man das macht.«
Ein wenig großspurig und übertrieben selbstbewusst
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