Die Entfuehrten
setzte er zum Korbwurf an. Der Ball flog durch den Ring, aber Jonas hatte das Gefühl, dass er ebenso leicht daran hätte abprallen können.
Ebenso leicht, wie die Konferenz eine Falle sein konnte.
»Mir behagt das nicht«, sagte Katherine und holte sich den Rebound. »Es ist einfach zu praktisch, dass diese Konferenz ausgerechnet für Liston, Clarksville undUpper Tyson gedacht ist. Das sind genau die Orte, an die sämtliche Kinder auf der Liste der Überlebenden gezogen sind.«
»Aber es wäre die perfekte Gelegenheit, mit einigen von ihnen zu sprechen. Ein paar werden sicher dort sein. Du kennst die Namen doch noch, oder?«, fragte Jonas.
»Klar«, sagte Katherine. »Andrea Crowell. Haley Rivers. Michael Kostoff.« Sie begann rhythmisch zu dribbeln. »Sarah Puchini. Josh Hart. Rusty Devorall. Anthony Solbers. Ups!« Der Ball landete auf ihrem Fuß und rollte die Auffahrt hinab. Sie wartete, während Jonas dem Ball auf die Straße nachlief. »Wahrscheinlich erinnert sich Chip noch an die anderen, oder sie fallen uns wieder ein, wenn wir sie hören.«
»Wie war das?«, sagte Jonas, der gerade zurückkam. Sein Pass zu ihr war ein wenig fester als notwendig. »Was meinst du mit ›wir‹?«
Katherine warf. Der Ball glitt ohne Ringberührung durch das Netz. Sie sah nicht einmal erstaunt aus.
»Ich meine damit, dass ich natürlich auch mitkomme«, sagte sie, holte sich ihren eigenen Rebound und verteidigte ihn. »Du und Chip werdet so tun müssen, als interessierten euch die – wie haben sie die Workshops noch mal genannt – ›Identitätsfragen jugendlicher Adoptivkinder‹. Oder wie auch immer. Also muss ich auch da sein, damit wir überhaupt Gelegenheit haben, mit den anderen zu reden.«
Auch wenn Jonas es nicht zugeben wollte, war das, was sie sagte, durchaus vernünftig.
»Wie sollen wir das Mom und Dad erklären?«
»Kein Problem«, sagte Katherine. Sie dribbelte, ohne auf den Ball zu schauen. »Du sagst ihnen einfach, du möchtest, dass ich mitkomme.«
Jonas versuchte ihr den Ball wegzunehmen, doch sie sah ihn kommen und brachte den Ball außer Reichweite.
»Und wie soll ich sie dazu bringen, mir das abzukaufen?«, wollte Jonas wissen.
»Dir wird schon was einfallen«, sagte Katherine und lächelte zuckersüß. »Die Bibliothekarin hat dich jedenfalls für einen prima Schauspieler gehalten.«
Als Jonas wieder ins Haus kam, sah er, dass seine Mutter auf dem Küchenkalender im Kästchen für den 28. Oktober bereits
9 – 15 Uhr, Adoptionskonferenz
eingetragen hatte. Schnell schnappte er sich einen Stift und begann, die Worte zu übermalen. Es war ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass auch seine Eltern Dinge aufschreiben könnten, die HK oder F sehen könnten.
Seine Mutter kam um Ecke, als er den letzten Buchstaben von
Konferenz
unleserlich machte.
»Was tust du denn da, Jonas?«, sagte sie verblüfft.
»Ich, äh, ich habe nur ein bisschen rumgemalt«, sagte Jonas. »War wohl ein bisschen zu heftig.«
Seine Mutter sah ihn völlig perplex an.
»So etwas hast du nicht mal als Kleinkind gemacht«, stellte sie fest.
»Mensch, Mom«, sagte Katherine vom anderen Ende der Küche, wo sie gerade eine Flasche Gatorade aus dem Kühlschrank holte. Beide, Jonas und seine Mutter, drehten sich zu ihr um. Irgendwie brachte Katherine es fertig, gleichzeitig die Augen zu verdrehen und das Gatorade abzupumpen. Sie ließ die Flasche sinken. »Denk doch mal nach. Wenn Jonas wegen seiner Identität plötzlich total durcheinander ist, dann ist das Letzte, was er gebrauchen kann, dass du an einem so öffentlichen Ort
Adoptionskonferenz
in den Kalender schreibst.«
»Das hier ist kein öffentlicher Ort«, sagte ihre Mutter. »Das ist unsere Küche.«
»Schon, aber Rachel und Molly sind ständig hier und Chip und alle anderen Freunde von Jonas und meine anderen Freundinnen und deine Freundinnen und Dads Freunde . . .« Katherine stellte es dar, als gingen in ihrer Küche tagtäglich Tausende von Menschen ein und aus.
»An dem Wort
Adoption
ist nichts Verwerfliches«, sagte die Mutter abwehrend, »oder daran, adoptiert zu sein.«
»Stimmt, aber Jonas will es einfach nicht an die große Glocke hängen«, sagte Katherine. »Mensch, zeig einfach ein bisschen Feingefühl.«
Moms Blick wanderte zwischen Katherine und Jonas hin und her.
»Ich dachte eigentlich, dass Jonas für sich selbst sprechen kann«, sagte sie und klang dabei ein wenig misstrauisch.
»Klar kann er das«, erwiderte Katherine zuckersüß.
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