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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Watts
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sie.
    Lichter und Musik wurden schwächer, als sie auf die Sickert zugingen. Sie konnten hören, wie die Wellen an den Schiffsrumpf schlugen und die Balken und Planken in der Dünung ächzten.
    Als sie sich dem Steg näherten, wurden sie fast von einem großen, hageren Mäuserich umgerannt, der das Schiff sehr eilig zu verlassen schien.
    Die Hälfte seines linken Ohrs fehlte, und er hatte eine leuchtende Narbe, die von der rechten Schläfe bis fast zur Nasenspitze reichte. Er hatte kleine, eng stehende Augen, und der Blick, den er den beiden jungen Mäusen zuwarf, wirkte dadurch misstrauisch.
    »Was lungert ihr hier herum?«, fragte er ruppig. »Wenn ihr wisst, was gut für euch ist, dann verzieht euch, aber schleunigst.«
    Der barsche Ton ließ Alistair innerlich zittern. Dennoch sprach er den Matrosen tapfer an. »Ist dein Käpt’n an Bord?«
    »Was geht dich das an?« Der Ton des Matrosen war immer noch unhöflich, doch Alistair meinte, eine gewisse Vorsicht herauszuhören.
    »Das geht nur Kapitän Graubart was an, dich gar nichts«, erwiderte er mit fester Stimme.
    Der Matrose öffnete den Mund und wollte antworten, doch dann besann er sich kurz. »Er ist in seiner Kajüte«, sagte er schließlich knapp und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Geht aber lieber mit ’ner guten Nachricht hin, wenn euch eure langen Schwänze lieb sind.«
    Als er sich umwandte und in Richtung Hafen davonhumpelte, bemerkten Alistair und Tibby Rose, dass ihm ein gutes Stück seines Schwanzes fehlte. Er reichte kaum bis auf den Boden.
    Tibby Rose schluckte und nahm vorsichtshalber ihre Schwanzspitze in die Hand. »Glaubst ... glaubst du, das hat Kapitän Graubart gemacht?«
    »Wenn ja, dann bestimmt, weil es der Kerl verdient hat«, sagte Alistair forscher, als er sich fühlte. »Also, auf geht’s ...« Und er strebte den Steg hinauf. Tibby folgte ihm.
    Zunächst schien das Schiff seltsam verlassen, als sie an Deck kamen. Doch dann sah Alistair, dass Mäuse an Bord waren. Sie schienen sich allerdings zu bemühen, möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und huschten geräuschlos von Schatten zu Schatten. Der Grund für ihr unauffälliges Verhalten wurde klar, als ein Gebrüll die Stille durchschnitt.
    »WO STECKT EIGENTLICH DER POCKENNARBIGE, KRAKENZERFRESSENE, FISCHSTINKENDE BENGEL, DER BEHAUPTET, MEIN SCHIFFSJUNGE ZU SEIN?«
    Alistair hörte dreimal lautes Klopfen auf den Schiffsbohlen, dann stapfte der Besitzer der Stimme in Sicht. Sein Holzbein kündigte sein Nahen an. Als Krücke benutzte er sein Entermesser, dessen Metallklinge sich jedes Mal gefährlich verbog, wenn er sein nicht unerhebliches Gewicht daraufstützte.
    Sein schwarzes Fell war verfilzt und räudig, ein Auge schien dauerhaft geschlossen zu sein, und er hatte die längsten, buschigsten Barthaare, die Alistair je gesehen hatte. Mit der freien Hand hatte er ein Fernrohr gepackt und fluchte laut vor sich hin. Als er den Mund öffnete, um seinen bebenden nussbraunen Ersten Offizier anzuschreien, konnte Alistair Goldzähne aufblitzen sehen.
    Tibby hatte gerade angefangen, Alistair flüsternd ihre Zweifel an seinem guten Einfall mitzuteilen, als der Kapitän sein eines furchterregendes Auge auf die beiden richtete.
    »WER SEID DENN IHR UND WAS MACHT IHR AUF MEINEM SCHIFF?«, donnerte er los und stampfte mit dem Holzbein auf dem Deck auf, um seinen Zornesausbruch zu unterstreichen.
    Alistair wurde fast umgeworfen von dem überwältigenden Zwiebelgestank, der dem Kapitän entströmte. »Ähm, guten Abend, Kapitän Graubart«, begann er zögernd. Allmählich zweifelte er selbst an seinem guten Einfall. Er konnte nur hoffen, dass Kapitän Graubart sie mit heilen Schwänzen davonkommen ließ. »Äh, es geht um Euren Schiffsjungen ... Also, es ist nämlich so, Kapitän, er ist anscheinend verhindert, aber, äh, wir sind Eure neuen Schiffsjungen ...« Alistair schluckte, dann sprach er eilig zu Ende. »Ihr müsst also keinerlei Unannehmlichkeiten fürchten.«
    »Um genau zu sein«, warf Tibby Rose ein, »ich bin ein Schiffsmädchen.«
    »MEINE NEUEN SCHIFFSJUNGEN?«, polterte der Kapitän. »SCHIFFS MÄDCHEN ?«
    »Eigentlich«, überlegte Tibby, »klingt es viel vernünftiger, uns einfach ›Schiffsmäuse‹ zu nennen.«
    »SCHIFFSMÄUSE?«, wiederholte der Kapitän.
    Er betrachtete sie mit leicht verwunderter Miene. Dann schien er sich wieder zu fassen.
    »Dann lasst euch erklären, ihr SUMPFLOCHMODRIGEN, SARDINENSTINKENDEN SCHIFFSJUNGEN – äh,

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