Die Entführung der Musik
Heke war erstaunt. »Kennt Ihr diesen Ort?« »Nein. Wir waren nie da. Das ist unser nächster Bestimmungs- ort.«
»Ah.« Der Soldat sah enttäuscht aus. »Wie es scheint«, fuhr Naike fort, »wurde die Prinzessin von einem gewissen Manzai bemerkt. Die Beschreibungen sind zwar ungenau und mögen von sämtlichen Gefüh- len zwischen Furcht und Bewunderung gefärbt sein, es läßt sich aber doch sagen, daß dieses Individuum offensichtlich einen Status ir- gendwo zwischen dem eines Straßenräubers und dem eines Adligen genießt. In diesem abscheulichen Land hier hat er sich sein eigenes kleines Rittergut aufgebaut und übt darin die absolute Herrschaft aus. Wenn all das stimmt, was wir in Erfahrung bringen konnten, so ist er der Entführer unserer Prinzessin.«
»Aha!« Mudge fühlte sich auf vertrautem Boden. »Er will wohl Lö- segeld.«
»Anscheinend nicht.« Naike legte die Stirn in Falten. »Möglicher- weise wurde sie für unnennbare Zwecke geraubt, doch ist dies nicht sicher. Unsere Quellen waren diesbezüglich nicht besonders klar.«
»Oh, die Frauen.« Mudge lehnte sich gegen einen bemoosten Baumstamm.
Heke starrte den Otter wütend an. »Läßt du es an Achtung gegen- über unserer Prinzessin fehlen?«
»Das kann ich nich«, erwiderte ungerührt Mudge. »'ab sie noch nich kennen gelernt.«
Der Soldat zögerte verunsichert und beschloß dann, sich wieder an seine Arbeit zu machen.
»Wir haben geschworen«, fuhr der Leutnant fort, »die Prinzessin zurück zu bringen oder bei dem Versuch den Tod zu finden.«
Mudge schloß die Augen, zog die gefiederte Kappe übers Gesicht und verschränkte die Arme vor dem Bauch. »Tja, warum bin ich nicht überrascht?«
»Dann liegt eure Ehre darin«, bemerkte nachdenklich Jon-Tom. Die Akkorde kitzelten ihn am rechten Ohr, und er wischte die ungeduldige Musik beiseite.
»Ja.«
»Eigentlich«, brummte Karaukul leise, »wurden wir sozusagen zu Freiwilligen gemacht.« Es klang nicht so, als fühlte er sich dadurch besonders geehrt.
»Es wurde gelost, wem von den Soldaten des Königshauses diese Ehre widerfahren solle«, erklärte der Leutnant.
»Das kann ich mir denken«, murmelte Mudge wissend.
»Wir werden die Prinzessin befreien.« Doch in der Stimme des Leutnants lag mehr Entschlossenheit und Gewißheit als in seinem Ge- sicht.
»Dieser Manzai«, sagte Jon-Tom, »hat sich vermutlich in irgendei- ner Art Burg oder einem ummauerten Komplex verschanzt?«
»Wir wissen nichts über seinen Wohnsitz, noch kennen wir die Stärke seines Haushalts. Selbst in diesem Teil der Welt ist er eine kaum bekannte Gestalt, und hier sind wir weit von Mashupro entfernt.
Die Bürger dieser lobenswerten Stadt ziehen die Küste dem Pesthauch und den Gefahren des Landesinnern vor, was man ihnen nicht verden- ken kann.« Hoch aufgerichtet stand der Leutnant da. »Nichts kann uns aufhalten, vor uns liegen Ruhm oder Tod.«
»Das sagen sie alle.« Mudge ließ sich wieder gegen seinen Baum- stamm zurücksinken.
Allmählich konnte Naike die Sticheleien des Otters nicht mehr ü- berhören und sah ihn ungnädig an. »Zumindest ist unser Anliegen e- del. Was, deinem Aussehen und Gerede nach zu urteilen, deiner Per- son völlig fehlt.«
»Besonders eßbar sind sie nich, die edlen Anliegen.« Ungerührt blickte der Otter unter der Krempe seiner Kappe hervor. »Ich find, sie sind verdammt schwer verdaulich un nicht besonders nahr'aft.«
Naike stieß ein Schnauben aus, das eher wie ein Quietschen klang.
»Genau das erwarte ich von einem Otter, einem Stamm, der für seinen Narzißmus und seine Faulheit berühmt ist. Den Otter habe ich noch nicht getroffen, der auch nur die Hälfte der inneren Kraft und Ent- schlossenheit eines Mungos aufbrächte.«
Mit flammenden Augen schoß Mudge hoch. »Ach, wirklich? Das is ja interessant von jemandem mit gestreiftem Hinterteil. Du kannst ru- hig wissen, daß...«
»Nicht jetzt, Mudge!« fiel ihm Jon-Tom gereizt ins Wort.
Der Offizier ließ das Thema gern fallen. »Ich habe keine Zeit für müßige Streitereien.«
»Prinzessin, hm?« Mudge hatte die Fähigkeit, innerlich problemlos von einem Gang in den anderen zu schalten.
Visionen einer geschmeidigen, in Samt und Seide gehüllten Mungo- Schönheit, die ihren Rettern unendlich dankbar war, schwirrten in sei- nem Kopf herum. Aufgrund ihrer offiziellen Stellung wäre es den ed- len Soldaten Harakuns zweifellos unmöglich, irgend etwas anderes als ein formales Dankeschön anzunehmen, während er
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