Die Entführung der Musik
Pflanzengewirr ein. »Bist du in Eile, Otter? Möchtest du dich dem Sitz dieses Manzai auf dem Hauptweg nähern, wo er am ehesten Späher und Vorposten aufgestellt haben dürfte?« »Denkste, ich 'ab keine Ah- nung von diesen Dingen?« »Natürlich nicht«, warf Leutnant Naike von weiter vorn ein. »Aber vielleicht bist du ein wenig außer Übung.« Der Otter zog die Brauen zusammen. »Dieser Kommentar soll sich doch nich etwa auf mein Alter beziehn, oder?«
»Schrei nicht so!« Jon-Tom bückte sich ein wenig, um unter einem überhängenden Ast durch zu schlüpfen, ohne dagegenzustoßen und das Blätterdach in Aufruhr zu versetzen.
»Warum? Die reden doch alle so verdammt gern, dann können sie auch zu'örn, was ich zu sagen 'ab.«
»Und das werden sie auch bestimmt tun.« Sein hochgewachsener Freund versuchte, ihn durch Gesten zu beschwichtigen. »Aber nicht gerade jetzt. Ich sehe da vorn etwas, das könnte ein Gebäude sein.«
Das brachte den Otter zum Schweigen. Ein wenig weiter vom lich- tete sich die Vegetation allmählich, und jetzt konnte er alles genauso deutlich sehen wie die anderen.
Umgeben von einem tadellos gepflegten Grundstück, krönte ein ausgedehnter Komplex einstöckiger Gebäude einen kleinen Erdhügel. Da gab es Blumen und Steingärten, blubbernde Quellen und winzige Wasserfälle. Wie platte Schlangen liefen exakt angelegte Pfade aus bunten Flußkieseln und Schotter über den Caesalpinia-Rasen. Die An- lage strahlte einen selbstgenügsamen Frieden aus, der mit Manzais wildem Ruf in keinerlei Einklang stand.
Aber natürlich mußte die große freie Fläche auch jedermann inner- halb der Gebäude einen weiten Blick in alle Richtungen gestatten.
Phantasievoll in Spiralen geschnittene purpurfarbene Formbäume flankierten zwei Eingänge, und von geschlossenen Fensterläden schimmerte Perlmutt. Die zahlreichen Dächer waren mit Sonnenherz- Ziegeln gedeckt und stark geneigt, damit das Wasser bei den tro- pischen Regengüssen, die in dieser Region sicherlich regelmäßig zu erwarten waren, ohne Mühe abfließen konnte. Ein Wall, ein Wallgra- ben oder ein wie auch immer verdecktes Hindernis war nicht zu ent- decken. Nur die wenigen Fenster ließen zumindest eine leichte Sorge um die innere Sicherheit erkennen.
Nach dem äußeren Anschein zu schließen, konnte ein zufälliger Be- sucher jederzeit auf einen der verschiedenen Pfade treten und direkt zum Haupteingang schlendern, bevor ihn irgend jemand aufhielt. Selbst dann würde man noch klopfen oder eine verborgene Glocke läuten müssen, denn auch Wachen oder Personal waren nicht zu se- hen.
Der sanft geschwungene Hügel verbarg die Ausmaße des Komple- xes. Ummauerte Gänge verbanden die zahlreichen Einzelgebäude. Von diesen waren einige groß, aber nicht sonderlich eindrucksvoll. Weder zierliche Holzschnitzereien noch funkelndes Gold oder andere Edelmetalle schmückten die Gebäude. Für einen berüchtigten Kriegs- herrn zeigte Manzai der Welt ein Gesieht, das zumindest gemäßigt, wenn nicht sogar heiter zu nennen war.
Sicherlich täuscht der friedliche äußere Anschein des Anwesens ü- ber die wahre Natur seiner Bewohner hinweg, sagte sich Jon-Tom. Er hatte mit stachelbewehrten Wällen und schießschartengespickten Türmen gerechnet und war nun mehr als verblüfft.
Aus dem dichten Unterholz heraus beobachteten sie eine Stunde lang schweigend das Gelände, ohne daß sich eine Wache oder Pa- trouille zeigte.
»Ist das auch bestimmt der richtige Ort?« flüsterte Jon-Tom schließ- lich Leutnant Naike zu.
»Er paßt zu den Beschreibungen, die wir bekommen haben.« Die Stimme des Mungos war nur ein Zischen. »Giftige Schlangen sind häufig schön gefärbt.« Jon-Tom sah, wie unter dem weichen Fell die Muskeln des Leutnants spielten. »Irgendwo da drinnen wird die Prin- zessin Aleaukauna gefangen gehalten. Es ist ohne Bedeutung, ob ihre Ketten aus Gold oder aus Eisen bestehen.«
»Wie sollen wir sie befreien?« Karaukul überragte seine Gefährten, obwohl er noch immer gut dreißig Zentimeter kleiner war als Jon- Tom. »Ich muß sagen, Sir, wenn dies wirklich eine Festung ist, dann wirkt sie harmloser als jede andere, die mir jemals begegnet ist.«
»Wahrhaftig«, stimmte der Leutnant zu. »Wie sehr ich auch suche, ich finde nichts, was einer Annäherung entgegenstehen könnte.«
»Dann muß man verdammt zehnmal so vorsichtig sein.«
Alle drehten sich um und schauten Mudge an. »Unschuld is von al- len Verteidigungen die beste.«
Mit
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