Die Entführung in der Mondscheingasse
Schweiß tropfte auf die Fahrbahn. Keuchend strampelte er stadtwärts,
anderthalb Radlängen hinter Tarzan, dem die Hitze nichts ausmachte.
Es war früher Nachmittag. Bleifarben
hing der Himmel über der Stadt. Anstelle von Fahrtwind wurden die beiden
Freunde von Gewitterluft umweht.
Karl wartete bei der St. Peter-Kirche,
wo auf dem Vorplatz der St. Peter-Brunnen seine — mindestens achtstrahlige — Fontäne
in die Höhe schießt. Der Brunnen war umlagert — von etwa 87 Passanten, die im
Schatten der Kühlung auf ein paar Spritzer hofften.
„In Oskars Fell“, meinte Karl, „möchte
ich jetzt nicht stecken. So dicht und üppig befedert, wie es fachmännisch
heißt. Unterm Fell muß es sehr heiß sein, und so ein armer Hund schwitzt nur
über die Zunge. Deshalb läßt er sie beim Hecheln heraushängen. Ihn kühlt’s.“
„Wenn das hilft“, schnaufte Klößchen, „übernehme
ich die Methode.“
Während sie weiterfuhren, ließ er die
Zunge herausbaumeln. Es sah fürchterlich aus. Fußgänger blickten sich nach ihm
um. Beifahrer der Autos, von denen sie überholt wurden, beugten sich aus dem
Fenster.
„Das ist nicht zum Beölen“, schimpfte
Tarzan, „sondern peinlich. Du wirkst noch beknackter als sonst. Zieh deinen
Lecker ein oder bleib 50 Meter zurück.“
„Es hilft auch gar nicht“, stellte
Klößchen fest. „Nur der Hals trocknet aus und beinahe hätte ich mich an einem
Krümel Schokolade verschluckt. Was die Hunde da draufhaben, muß eine
Verhaltensstörung sein.“
Über den Giebeln einer Häuserzeile
erhob sich der ,lange Theo’. Trotz seiner Jugend hatte
ihn die Umwelt schon angeschmutzt.
Sie stellten ihre Drahtesel auf dem
Vorplatz zusammen. Ein Kabelschloß genügte für drei.
Rundum brandete der Verkehr gegen
Bordsteine und Ampeln. Keine Parkuhr war frei. An allen Fußgänger-Überwegen
stauten sich Gruppen und warteten auf ,grün’ . Markisen
mit Firmenaufdrucken und grellen Farben spendeten den Schaufenstern Schatten.
Die Eisverkäufer vor den Cafés hatten alle Hände voll zu tun und bemühten sich,
besonders kleine Kugeln auf die Waffeltüten zu stülpen. Damit der Eisvorrat
lange reichte.
„Schokoladeneis — hmhmhm“, grunzte
Klößchen — und hechelte sozusagen mit den Augen.
Tarzan zog ihn am Ärmel zum Portal.
„Erst erkunden wir bei Frau Dießen, was
mit der Wohnung ist. Von dem Eis kriegst du ohnehin nur Durst.“
„Seit wann ist Durst schlecht?“ fragte
Klößchen. „Mein Durst und eisgekühlte Limonade passen bestens zusammen.“
Aber er kam mit. Der Stahlrahmen der
Eingangstür war nicht ins Schloß geschnappt. Sie traten in die Halle, die
vornehm und kühl roch. Neben dem Lift zog sich ein Flur nach hinten.
„...naja“, sagte Kommissar Glockner in
diesem Moment. „Da kann man nichts machen.“
Da kann man nichts machen, dachte
Tarzan. Jetzt erwischt er uns wiedermal beim Detektivspielen.
Grinsend sohlten die drei den Flur
hinab. Gabys Vater sah ihnen entgegen. Die Hausverwalterin Irmgard Dießen
wandte ihnen den Rücken zu.
„...ist ja nicht gesagt, daß dieser Gehlert
die Wohnung nimmt“, meinte sie. „Wenn aber doch, Herr Glockner, dann kann ich’s
nicht verhindern.“
„Tag, zusammen!“ sagten die drei wie
aus einem Munde.
Und Tarzan fuhr fort: „Wir kommen mehr
oder weniger zufällig vorbei, Herr Glockner. Und wollten Frau Dießen nur mal fragen, ob die Wohnung im zwölften Stock etwa schon
vergeben sei. Man ist ja gern up to date (auf dem laufenden), nicht
wahr?“
Frau Dießen hatte sich umgedreht.
Lächelnd gab sie jedem die Hand.
„Euch habe ich lange nicht gesehen.“
An jenem Sonntag vor fünf Wochen hatte
sie die TKKG-Bande kennengelernt.
„Die Schule nimmt uns völlig in
Anspruch“, erklärte Klößchen. „Aber das wird ja bald anders. Nämlich während
der Ferien. Gaby, Herr Glockner, konnte nicht mitkommen. Sie muß mit Oskar zum
Feinschnitt. Ich meine, er muß fein geschnitten werden, damit er die Zunge
nicht raushängen läßt.“
Der Kommissar hatte die Stirn
gerunzelt. Im Zusammenhang mit den dreien war das eine gewaltige Unmutsgeste.
Ernsthaft konnte er ihnen ohnehin nicht böse sein.
Tarzan hörte, wie jemand durchs Portal
eintrat.
Flüchtig sah er sich um — über die
Schulter.
Es war ein großer, elegant gekleideter
Mann — mit so blondem Haar, als hätte er’s vergoldet. Weniger hochkarätig
wirkte das mit Pocken- oder Windpockennarben übersäte Gesicht. Es war fleischig
und grob. An der gewaltigen
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