Die Entführung in der Mondscheingasse
Hakennase vorbei lief der Blick wie auf Schienen.
Tarzan wandte sich ab.
„Hallo“, sagte der Mann. „Können Sie
mir sagen, wo ich hier die Verwalterin finde?“
Ich schnall’ ab! dachte Tarzan.
Karl, Klößchen und der Kommissar
zeigten keine Reaktion. Sie hatten Uckmann nie reden gehört.
Aber Frau Dießen stieß einen spitzen
Schrei aus, als werde sie hinterrücks mit glühender Nadel gestochen.
Erschrocken fuhr sie herum.
Unsicher, ob er hier wohl richtig sei,
kam der Mann näher. Er blickte verwundert. Daß ihn Frau Dießen offenen Mundes
anstarrte, brachte seine Brauen in Bewegung.
„Entschuldigung“, murmelte er mit
heiserem Baß, „wenn ich Sie erschreckt habe. Ich suche eine Frau Dießen, die
Verwalterin.“
„Das bin ich“, nickte sie. „Mein Gott!
Das gibt’s doch nicht. Die gleiche Stimme.“
Der Fremde blinzelte. „Wenn Sie mich
meinen, Frau Dießen — ich hatte gerade eine Sommer-Angina. Bin noch etwas
heiser, und der Hals schmerzt. Mein Name ist Gehlert. Meyer-Immobilien schickt mich. Wegen der Mietwohnung.“
„Ich weiß“, nickte sie. „Herr Meyer
rief an. Entschuldigen Sie, daß ich so erschreckt reagiert habe. Aber Sie haben
wirklich die gleiche Stimme wie... wie...“
Hilflos sah sie den Kommissar an.
Wieviel von dem gehüteten Geheimnis durfte sie aufdecken?
„Stimmt!“ kam ihr Tarzan zu Hilfe. „Mir
hat’s auch einen Schlag versetzt, daß ich dachte, mein Zeisig boxt. Exakt die
gleiche Stimme wie der vermißte Herr Uhhhhh. Manche Stimmbänder werden von der
Natur offenbar doppelt gefertigt. Hahahah.“
„Ich komme wegen der Wohnung“, sagte
Gehlert, der sich vorkommen mußte wie unter Blöden. „Wenn ich die, bitte, mal
besichtigen dürfte.“
„Selbstverständlich!“ rief Frau Dießen
und riß ihre Handtasche auf, ob der Generalschlüssel, der alle Türen öffnet,
drin war. „Bitte, kommen Sie! Wir fahren hoch mit dem Lift, Herr Gehlert.
Entschuldigen Sie mich, Herr Glockner.“
Die beiden stiegen in den Lift.
Glockner und die Jungs blieben zurück.
„Ich nehme an“, sagte er, „ihr wißt
genaustens Bescheid.“
Sie nickten.
„Tarzan, spricht dieser Gehlert
wirklich wie Uckmann?“
„Sehr ähnlich, soweit ich’s im Ohr
habe. Vielleicht etwas mehr durch die Nase. Aber das könnte an seiner Erkältung
liegen.“
„Wenn sich Gehlert am Telefon für
Uckmann ausgäbe — ließest du dich täuschen?“
„Was die Stimme betrifft, ja. Aber
sobald sich Neschke mit Gehlert unterhält, merkt er doch an dem, was der sagt,
daß es nicht Uckmann ist.“
„Nun mal langsam mit den jungen Pferden“,
legte Glockner sich selbst die Zügel an. „Ich überlege ja nur. Wahrscheinlich
nimmt dieser Gehlert die Wohnung gar nicht. Für den Preis kann er die
doppelte Grundfläche verlangen. Und selbst wenn — die Wohnung mieten ist eine
Sache, für uns den Lockvogel spielen eine andere.“
„Uih!“ meinte Klößchen.
„Wenn Gehlert seine Stimme hierlassen
könnte“, sagte Karl, „wäre Ihnen geholfen. Auf Tonband oder so ein kräftiges:
Hallo, Neschke! Wieder draußen? Gratuliere! Sag schnell, wo du bist, dann rufe
ich zurück. — Ginge das?“
Glockner lächelte. „Sowas ähnliches
schwebt mir vor. Aber es geht nur live (direkt gesendet) — mit Gehlert
am Rohr.“
Sie warteten.
Doch Gehlert untersuchte offenbar jeden
Fußbreit Boden. Der Kommissar wurde ungeduldig. Mit den Jungs fuhr er hinauf.
Sie klingelten an der Wohnungstür, und
Frau Dießen öffnete.
Sie strahlte.
„Herr Gehlert hat angebissen“,
flüsterte sie. „Er will einen Zwei-Jahres-Vertrag.“
Sie fanden ihn im Bad, wo er auf den
Fliesen kniete und das Waschbecken samt Installation (das Anbringen
sanitärer Anlagen) auf diese Weise begutachtete.
Er hatte seine schilfgrüne Anzugjacke
abgelegt. Das Seidenhemd war zwischen den Schultern verschwitzt. An seinen
knochigen Fingern klebte Schmutz. Offenbar überprüfte er alles, einschließlich
der Klo-Spülung.
Ist wohl der Typ, dachte Tarzan, der
sich nicht reinlegen läßt. Oder er will Mängel aufdecken, um den Mietpreis zu
drücken. Nie und nimmer läßt der sich als Lockvogel anwerben.
„Wie ich höre“, sagte Glockner, „wollen
Sie mieten, Herr Gehlert. In dem Zusammenhang habe ich ein Anliegen. Aber zunächst
möchte ich mich vorstellen. Ich bin Kommissar Glockner von der hiesigen Kripo.
Diese jungen Herren gehören zu mir.“
Gehlert und Glockner tauschten einen
Händedruck. Gehlerts Narbengesicht wirkte jetzt
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