Die Entfuehrung
Leahy-Territorium gewesen. Jetzt nicht mehr.
Er schob die Gardinen zur Seite, um einen Panorama-Blick zu haben. Der Halbmond hing tief am Nachthimmel. Das Lichtermeer der menschenleeren Innenstadt und der wuchernden Vorstädte breitete sich vor ihm aus. Er atmete tief ein, als hätte er die Kraft, die frische Luft der weit entlegenen texanischen Ebenen anzusaugen.
»Lincoln, komm ins Bett«, murmelte seine Frau schläfrig-
Natalie Howe war seit einundvierzig Jahren die Frau des Generals. Sie war die jüngste und hübscheste Tochter eines Baptistenpredigers aus den Südstaaten gewesen. Als Hausfrau hatte sie ihre drei Kinder so gut wie alleine aufgezogen, während der Vater seinem Land in Korea und Vietnam gedient hatte. Mit ihren dreiundsechzig Jahren hatte sie sich viel von der Schönheit bewahrt, die den jungen Soldaten angezogen hatte, den sie in ihrer Heimatstadt Birmingham, Alabama, geheiratet hatte. Dunkle Mandelaugen und samtige Haut zeugten von ihrer äthiopischen Herkunft. Ihre glänzenden schwarzen Haare trug sie gewöhnlich hochgesteckt oder glatt nach hinten gekämmt, um die Schönheit ihres Gesichts zu unterstreichen. Sie ging nie ohne Make-up aus dem Haus, und sie wog gerade mal zwei Kilo mehr als am Tag ihrer Hochzeit.
Lincoln rieb die Hände gegeneinander. »Ich bin zu aufgeregt, um zu schlafen.« Er sah seine Frau über die Schulter hinweg an. Sie lag auf dem Rücken unter der Decke auf der anderen Seite des Doppelbetts. Er trat vom Fenster weg und setzte sich neben sie auf die Bettkante.
»Das ist der Wendepunkt, Nathalie. Leahy hat endlich den entscheidenden Fehler gemacht. Paris haben wir schon zurückerobert. Jetzt marschieren wir auf Berlin.«
»In elf Tagen kann noch viel passieren.«
»Das ist wahr«, sagte er zuversichtlich. »Aber irgend etwas sagt mir, dass es nur noch besser werden kann.«
Nathalie stützte sich auf einen Ellbogen. Ihre Augen drückten Missfallen aus. »Musst du eigentlich derart schadenfroh sein?«
»Ich habe das gute Recht, schadenfroh zu sein.«
»Dein Verhalten beunruhigt mich. Es kommt mir so vor, als ob der Gedanke, dass sie verliert, dich mehr erregt als die Vorstellung, dass du gewinnst.«
»Du darfst kein Mitleid mit dem Feind zeigen, Nathalie. In dem Moment, wo du das tust, rammt er dir dein Bajonett in den Bauch.«
»Kann sein. Aber ehrlich gesagt, ich finde es nicht so schrecklich, was sie getan hat.«
Er zuckte zusammen und sah sie ungläubig an. »Was sie getan hat, war ausgesprochen feige. Nichts haßt das amerikanische Volk mehr als einen Politiker, der eine Frage nicht beantworten will.«
Sie sah ihn scharf an. Sie hätte noch einiges zu der Debatte zu sagen gehabt, aber seine Prahlerei und Selbstgerechtigkeit waren plötzlich mehr, als sie ertragen konnte. »Für mich jedenfalls gibt es etwas, das schlimmer ist als eine Frau, die keine Fragen nach ihrer ehelichen Treue beantworten will.«
»Und das wäre, Liebling?«
Sie rollte sich auf die Seite und sprach ins Kopfkissen. »Ein Mann, der bei dieser Frage lügt.«
Er erstarrte und wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Das hier war anders als die Debatte, wo man einfach in die Kamera sehen und nein sagen konnte. Über diesen Punkt waren sie längst hinaus, bevor die Rechtfertigungen einsetzten.
Er legte eine Hand auf ihre Schulter, aber sie reagierte nicht. Er erhob sich von ihrem Bett und löschte wortlos das Licht.
5
Es gelang Allison, ein paar Stunden zu schlafen, nachdem sie mit Peter Sex gehabt hatte, aber um 3:00 Uhr war sie schon wieder hellwach. Um 6:00 Uhr drang das erste Morgenlicht ins Zimmer und bildete einen fahl schimmernden Rahmen um die dunklen Vorhänge. Allison starrte mit offenen Augen an die Decke, während Peter neben ihr schlief.
Die jüngsten Umfragen von ABC News/Washington Post besagten, dass sie gegenüber Lincoln Howe im Rückstand lag, aber das war im Moment weit weg für sie. Sie zerbrach sich immer noch den Kopf über ihr Gespräch mit Peter. Sie war glücklich darüber, wie er zu ihr hielt und dass er eingewilligt hatte, ihr im Wahlkampf beizustehen. Aber ihre Freude wurde überschattet von dem Gefühl ihrer Unfähigkeit, ihm die ganze Geschichte zu erzählen, die hinter ihrer Entscheidung stand, eine Antwort zum Thema Ehebruch zu verweigern. Vielleicht war es so schwierig, gerade jetzt darüber zu reden, weil die ganze Sache schon vor langer Zeit begonnen hatte und sie nicht erklären konnte, warum sie ihm nicht alles von Anfang an erzählt hatte. Immer
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