Die Entfuehrung
wieder hatte sie die Situation an jenem Augustabend vor fast zwei Monaten vor Augen - sie zermarterte sich das Hirn mit der Frage, warum es so schwierig war, ihrem Mann von dem zufälligen Wiedersehen mit Mitch O'Brien in Miami Beach zu erzählen...
Eine feuchte Brise wehte vom Atlantik her und rauschte in den Palmwipfeln vor dem Hotel Fountainbleu. Ein Holzsteg, mit Strandhafer bedeckte Dünen und ein weiter, offener Strand trennten das Meer vom Cafe am Swimmingpool. Und doch war in der Dunkelheit das sanfte Plätschern der Wellen zu hören. Allison saß Mitch an einem runden, weißen Tisch gegenüber und genehmigte sich einen Cointreau als Schlummertrunk.
Sie hatte gerade die Grundsatzrede auf dem Jahrestreffen der National Association of Attorneys General gehalten, einer riesigen Versammlung der Justizminister und ihrer Mitarbeiterstäbe aus allen fünfzig Bundesstaaten. Das war eine gute Gelegenheit, deutliche Worte zum Thema Kriminalität zu äußern, da ihr Präsidentschaftswahlkampf kurz vor der großen Herbstoffensive stand. Mitch überraschte sie in der Lobby, als sie gerade zum Aufzug ging. Seit acht Jahren hatten sie sich nicht gesehen. Nach Emilys Entführung hatte sie den Kontakt zu ihm völlig abgebrochen. Er hatte Chicago verlassen und war nach Miami gezogen. Sie hatte ihm gegenüber jedoch nie irgendwelche Ressentiments gehegt, und deshalb hatte sie gegen sein Angebot, sie auf einen Drink einzuladen und darüber zu reden, wie es beiden seit damals ergangen war, nichts einzuwenden. Außerdem war es ihr lieber, als schon wieder im Hotel mit ihren Beratern zu Abend zu essen.
»Also«, fragte Mitch, »wie stehen die Dinge bei der nationalen Versammlung der Möchtegern-Gouverneure?«
Allison lächelte. »Erstens ist das hier die Versammlung der Justizminister. Und zweitens: Interessiert es dich wirklich?«
»Nein.« Er sah sie verschmitzt an. Mitch hatte warme, sympathische Augen, mit denen sich der ausgefuchste Strafverteidiger schon bei so manch einer Geschworenen einen Vorteil verschafft hatte. Es waren seine Augen, woran sich Allison am deutlichsten erinnerte, und sein respektloser Sinn für Humor, mit dem er sie früher so zum Lachen gebracht hatte, wie sie seit Jahren, seit dem Verschwinden ihrer Tochter, nicht mehr gelacht hatte.
»Ich habe den Eindruck, dass wir schon den ganzen Abend über mich sprechen«, sagte sie. »Was gibt's bei dir Neues?«
»Die üblichen Verrücktheiten, die sich hier in Süd-Florida abspielen und weswegen ich froh bin, dass ich Chicago hinter mir gelassen habe. Mir ist eine Strafsache in Key West angeboten worden, und ich überlege ernsthaft, sie anzunehmen «
»Ist das dein Ernst? Ich dachte, du wolltest die Juristerei endgültig an den Nagel hängen.«
»Ich habe gesagt, dass ich es mir überlege. Einfach zum Vergnügen. Einer meiner Freunde, mit denen ich segeln gehe, ist beim jährlichen Wer sieht aus wie Ernest Hemingway -Wettbewerb in eine blöde Sache geraten.« »Hemingway hat doch in Key West gelebt, oder?« »Richtig. Dieses Jahr sind wie üblich Scharen von graubärtigen Männern in dicken Rollkragenpullovern angetreten -wie auf der Hemingway-Briefmarke. Schließlich läuft der letzte Bewerber auf, und er sieht haargenau so aus wie der wirkliche Ernest Hemingway, aber mit einer besonderen Note: Er nuckelt am Lauf einer Schrotflinte.«
»Genau das lieben die Leute von Miami an Key West. Der Rest der Welt darf sich über eure bizarren Übeltaten amüsieren und sagen: Typisch Miami. Aber hin und wieder könnt ihr in den Süden schauen und sagen: Typisch Key West. «
»Tja, die anderen Hemingway-Darsteller fanden das Ganze anscheinend nicht so witzig. Sie schnappten sich die Schrotflinte, warfen den Burschen in den Kofferraum eines alten Cabrios und zischten mit neunzig Meilen die U. S. 1 rauf Richtung Norden, wo sie von einem Staatspolizisten gestoppt wurden. Stell dir das Gesicht von dem Polizisten vor, als er einen feuerroten Cadillac anhält, der mit lauter Hemingways vollgepackt ist und den Highway entlangbrettert. Keiner weiß, was sie eigentlich vorhatten, aber der Polizist behauptet, dass er den Fahrer rufen hörte: Tod am Nachmittag! Und Mister Großmaul möchte jetzt, dass ich aus meinem vorzeitigen Ruhestand zurückkehre und ihn vertrete. Er wird wegen Entführung angeklagt. Kannst du dir diesen Prozess vorstellen?« Er lachte und trank sein Mineralwasser aus.
Allison rang sich ein Lächeln ab.
Er sah von seinem leeren Glas auf und stutzte
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