Die Entfuehrung
bei ihrem ernsten Gesichtsausdruck. »Stimmt was nicht?« fragte er.
»Ich weiß nicht. Es kommt mir nur plötzlich komisch vor, dass wir beide hier sitzen und über eine Entführung lachen.«
Sie sahen sich an. Die Stille zwischen ihnen ließ die Geräusche des Meeres im Hintergrund plötzlich deutlicher werden. Allison wandte den Blick ab.
Mitch wurde ernst. »Du hast mir die Schuld an Emilys Entführung gegeben, stimmt's?«
Sie setzte zum Sprechen an, zögerte aber einen Moment lang. Die Frage schien aus heiterem Himmel zu kommen - aber bei näherem Hinhören eigentlich nicht. »Ich glaube, Schuld ist nicht das richtige Wort. Ich verbinde sie einfach mit dir. Das ist vielleicht nicht fair, aber es geht mir nicht mehr aus dem Kopf, dass ich gerade mit dir telefoniert habe, als es passiert ist.«
Er betrachtete den Swimming-Pool und sah Allison wieder an. »Glaubst du, wir wären wieder zusammengekommen? Ich meine, wenn das nicht passiert wäre.«
»Nein.«
Er sackte in sich zusammen. »Das ist dir nicht mal in den Sinn gekommen, hab ich recht?«
Sie seufzte. »Mitch, das spielt doch alles keine Rolle mehr. Ich bin jetzt verheiratet und habe einen wunderbaren Ehemann. «
»Ach ja, und nach sieben Jahren arbeitet er noch immer in New York und besucht dich am Wochenende.« »Woher weißt du das?« »Du stehst im Rampenlicht, Allison.« Ihr wurde ganz mulmig. »Was weißt du sonst noch?« »Ich weiß auch, dass er mehr als eine Million Dollar aus seiner Tasche bezahlt hat, um dir bei der Suche nach Emily zu helfen. Es tut mir wirklich leid, dass du sie nie gefunden hast.« »Danke.«
Er beugte sich vor und umklammerte sein leeres Glas mit beiden Händen. »Und es tut mir auch leid, dass du ihm zum Dank dafür die Ehe versprochen hast.«
Allison sah ihm in die Augen. Ihr Mund war plötzlich trocken.
Mitch zuckte mit keiner Wimper. Sein Blick wurde nur noch eindringlicher.
Sie musste schlucken, dann wandte sie sich ab und nahm ihre Handtasche. »Ich gehe jetzt besser.« Sie stand auf, nahm eine Zehndollarnote aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.
Er runzelte die Stirn. »Darf ich dich nicht einmal einladen? «
Sie straffte ihre Schultern und nahm eine gerade und förmliche Haltung an. »Auf Wiedersehen, Mitch. «Ihre Bewacher vom FBI erhoben sich gleichzeitig von ihrem unauffälligen Platz an der Tür, um sie nach Hause zu begleiten.
»Allison«, rief Mitch.
Sie blieb stehen und drehte sich widerwillig um. Es waren seine Augen. Wieder sah er sie mit diesen Augen an.
»Du kannst wirklich nichts dafür«, sagte er so leise, dass niemand es hören konnte. »Aber es gibt jemanden, der dich noch immer liebt.«
Sie blinzelte und konnte ihn kaum verstehen. Nervös drehte sich sich wieder um und machte sich auf den Weg ins Hotel.
Der Wecker klingelte auf dem Nachttisch und riss sie aus ihren Erinnerungen. Völlig benommen tastete sie nach dem Knopf.
Peter rührte sich auch und rieb sich die Augen, dann drehte er sich zu ihr hin. Er strahlte wie ein Junge, der die Schule schwänzt. »Guten Morgen«, sagte er und sah von seinem Kissen auf.
Allison wischte sich eine Schweißperle von der Oberlippe. »Ja«, sagte sie mit einem sorgenvollen Lächeln. »Das wird ein sehr guter Morgen.«
6
Am frühen Montagmorgen betrat David Wilcox das Weiße Haus durch einen Tunnel, der ein Tiefgeschoß im Ostflügel mit dem Keller des Treasury Building verband. Durch diesen Eingang kamen Besucher, die im Licht der Öffentlichkeit standen und von der Presse unbemerkt bleiben wollten. Wilcox hatte darauf bestanden, ihn zu benutzen, aus Furcht, ein persönlicher Besuch beim Präsidenten könnte, wenn er bekannt würde, als Akt der Verzweiflung von Seiten des Leahy-Wahlkampfteams aufgefasst werden.
Zwei Agenten des Secret Service begleiteten den geheimen Ausflug. Einer von ihnen ging neben Wilcox. Der andere begleitete Eric Helmers, den populären Gouverneur aus Georgia, Allisons Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Helmers sorgte in mehrerlei Hinsicht für Ausgleich in ihrer Wahlliste. Abgesehen davon, dass er ein gutaussehender und redegewandter Südstaatler war, war er ein hochdekorierter Veteran aus dem Vietnamkrieg, der bei der Explosion einer Landmine die Hälfte seines linken Fußes verloren hatte. Sein unermüdlicher Einsatz für die Behinderten hatte ihm nationale Hochachtung eingebracht, und seine jährliche Teilnahme am Boston-Marathon, die von den Medien sehr beachtet wurde, fand großen Widerhall in
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