Die Entfuehrung

größeren Zusammenhängen, Allison. Jeder Krieg fordert Opfer.«
    »Haben Sie Ihren Verstand verloren? Hier geht es um seine Enkelin.«
    »Hier geht es um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten!« Er stieß einen tiefen Seufzer aus, als wäre ihm sein scharfer Tonfall plötzlich peinlich. »Bitte, lassen Sie uns zusammenarbeiten. Ich werde der Sache mit dem Fotografen auf den Grund gehen. Aber behalten Sie ihn im Auge. Ich rufe Sie später an.«
    Die Verbindung war unterbrochen.
    Als sie das Handy in ihre Manteltasche schob, dachte sie über seinen heftigen Tonfall nach. David hatte sie bisher nie belogen. Aber die Art, wie er sofort auf die Fotogeschichte angesprungen war, machte es ihr schwer, zu glauben, dass er nichts damit zu tun hatte. Andererseits passte es nicht zu David, einen Fotografen anzuheuern, der so blöde war, seine Fotos im Beisein von Harley Abrams und dem halben FBI zu schießen.
    Vielleicht konnte ja der Fotograf selbst Licht in die Angelegenheit bringen. Sie drehte sich um und schaute zu den Grasbüscheln am Ufer hinüber, wo er gestanden hatte. Er war weg. Sie warf einen Blick das Ufer entlang, dann Richtung Brücke. Er war spurlos verschwunden.
    Ein FBI-Agent ging vorbei.
    »Haben Sie den Fotografen gesehen?« fragte sie. »Kleiner Typ. Lange rote Haare. Halbglatze.«
    Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Ms. Leahy. Sollen wir ihn suchen?«
    »Nein, nicht nötig.«
    Gedankenversunken wandte sie sich zum Fluss. Wer zum Teufel ist dieser merkwürdige Typ? Und was hat er mit den Fotos wirklich vor?
12
    Das Verschwinden und die wahrscheinliche Entführung von Kristen Howe waren der Aufmacher in den landesweiten Dienstagabendnachrichten. Wie verlautete, schloss das FBI in dieser Sache nichts aus, bis hin zu der Möglichkeit, dass sie von ihrem eigenen Busfahrer entführt worden war, von dem es ebenso wie von dem Schulbus bisher keine Spur gab.
    Lincoln Howe verfolgte die Abendnachrichten im Fernsehen auf dem Weg vom internationalen Flughafen Nashville auf dem Rücksitz seiner Limousine. Auf die wenigen bisher bestätigten Informationen folgte ein ausführlicher »Kommentar zum Geschehen«, der in wilden Spekulationen über die möglichen politischen Verwicklungen infolge der Entführung gipfelte. Lincoln sah gespannt hin, als eine junge Korrespondentin mit unbewegter Miene aus der Wharton Middle-School berichtete.
    »Wenn sich auch bisher niemand zu der Tat bekannt hat, so wird doch in der Öffentlichkeit angenommen, dass es sich bei den Tätern wahrscheinlich um politische Extremisten handelt, die verhindern wollen, dass Lincoln Howe Präsident wird. Diese Auffassung und die landesweiten Sympathiebekundungen für die Familie Howe haben offensichtlich dazu beigetragen, dass eine Woche vor der Wahl General Howe seinen Vorsprung gegenüber Justizministerin Leahy in den Meinungsumfragen von etwa fünf auf sieben Punkte ausbauen konnte.«
    Howe schaltete den Fernseher ab. So teilnahmslos hatte er noch nie auf Meldungen über seine politischen Aussichten reagiert.
    Die Limousine verlangsamte ihre Fahrt, als sie an einem roten Backsteinbau mit Mansarddach angekommen war. Mindestens ein Dutzend Übertragungswagen standen auf der Straße, jeder mit einer anderen Aufschrift- »Eyewitness News«, »Action News« und so weiter. Drähte und Kabel lagen kreuz und quer auf der sonst so ruhigen Straße. Fernsehreporter ordneten und überprüften ihre Notizen für die Direktübertragungen in den Spätnachrichten. Kameraleute liefen mit schwerer Ausrüstung auf der Schulter über den Bürgersteig und wollten den besten Blick auf das Haus ergattern.
    Lincoln lugte aus der Limousine, Der Name »Howe« auf dem Briefkasten verursachte ihm einen Kloß in der Kehle. Es war heute nacht das erste Mal überhaupt, dass er seine Tochter in ihrem Haus besuchte.
    Lincoln hatte Tanya Howe sehr selten gesehen, seit sie vor dreizehn Jahren ihr Studium abgebrochen und Kristen zur Welt gebracht hatte. Später hatte sie an der Abendschule einen Abschluss in Kunstgeschichte gemacht und unterrichtete jetzt am Community College. Die wichtigsten Dinge aus dem erwachsenen Leben seiner Tochter wusste Lincoln von seiner Frau. Trotz der Differenzen zwischen Vater und Tochter hatte Natalie immer eine enge Beziehung zu Tanya aufrechterhalten. Seit heute Mittag, als die Nachricht von Kristens Verschwinden bekannt geworden war, war sie bei ihr.
    Die Limousine wurde in der Einfahrt sofort von Medienleuten umzingelt. Drei Agenten des