Die Entfuehrung
erzählt. Seit unserem Gespräch vergangene Nacht habe ich das Gefühl, dass sich zwischen uns ein gewisses Verständnis füreinander entwickelt hat. Ein Band des Vertrauens. Ich hoffe, ich irre mich nicht.« Harley sah sie an. »Sie irren sich nicht.« Erleichtert lächelte sie ihn an, dann verbrachte sie die nächsten zehn Minuten damit, ihm von Mitch O'Brien zu erzählen, von dem peinlichen Wiedersehen im Fountainbleu Hotel in Miami Beach im August und von der katastrophalen Fortsetzung eine Woche später auf der Gala - einschließlich Mitchs betrunkener Aufschneiderei und ihrer Angst, dass irgend jemand sie belauscht haben könnte.
»Ungefähr zwei Wochen später«, fuhr sie fort, »habe ich das mit der Post erhalten.« Sie zog einen großen Briefumschlag aus dem Ordner. »Sie sehen, dass er an mich zu Hause adressiert war, mit dem Vermerk persönlich und vertrauliche Da kein Absender darauf stand, nahm ich den Brief am nächsten Morgen mit ins Justizministerium, um ihn durchleuchten zu lassen. Da nichts Auffälliges daran war, habe ich ihn geöffnet. Und das habe ich gefunden.«
Ihre Hand zitterte - genauso wie beim ersten Mal vor mehr als einem Monat -, als sie ein vergrößertes Schwarzweißfoto herauszog. Sie legte es auf den Tisch. »Offenkundig bin ich das.«
Harley beugte sich vor, um sich das Foto näher anzusehen. Das Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Mit hellroten Strichen war der Buchstabe E über ihre Stirn gekritzelt
»Offensichtlich ist dieses Kunstwerk die Arbeit desjenigen, der mir das Foto geschickt hat. Ebenso wie die Botschaft auf der Rückseite.« Allison drehte es um und zeigte ihm die handschriftliche Nachricht im gleichen roten Gekrakel.
Sie lautete: Steht nicht für Ehrliche Justizministerin, du Schlampe.
Harley blickte auf. »Was haben Sie damit gemacht, nachdem Sie es erhalten haben?«
»Ich habe es einfach behalten.«
»Warum haben Sie es nicht dem FBI gegeben?«
»Wie ich Ihnen schon sagte, bekomme ich viele solcher Drohungen. Dass das FBI bei meinem Ex-Verlobten an die Tür klopft, war das letzte, was ich wollte. Ich war ziemlich sicher, dass Mitch dahintersteckte, und fand es eher harmlos. Ich hab's einfach auf sich beruhen lassen.«
»Und warum graben Sie es jetzt wieder aus?«
»Weil ich mittlerweile nicht mehr so sicher bin, dass es harmlos ist.«
Harley lehnte sich zurück. »Welchen Reim machen Sie sich darauf?«
»Sie können sich bestimmt denken, dass meine jüngsten politischen Probleme nicht mit Kristens Entführung begonnen haben. Sie fingen nach der letzten Debatte an mit telefonischen Beschuldigungen wegen Ehebruchs.«
»Ja, und weiter?«
»Ich hatte angenommen, dass dieses Foto, wenn es überhaupt etwas bedeuten sollte, auf den Ehebruchskandal anspielte - der knapp einen Monat nach dem Tag begann, an dem ich das Foto erhalten hatte. Aber dann habe ich heute Morgen mitgehört, wie mein Bewerber für das Vizepräsidentenamt einen üblen Scherz gemacht hat. Eigentlich war es ein Slogan, der ungefähr so lautete: Allison Leahy, die Präsidentin mit dem scharlachroten Buchstaben - E nicht wie Ehebruch. Sondern E wie Entführung.«
Harley betrachtete wieder das Foto. »Sie nehmen also an, dass ihr heimlicher Bewunderer, als er schrieb, dass das E nicht für Ehrliche Justizministerin steht, nicht sagen wollte, es stünde für Ehebruch?«
»Es stand für Entführung«, sagte Allison. »Vielleicht war es eine Warnung, oder die Ereignisse haben ihren Schatten vorausgeworfen.«
»Das scheint mir weit hergeholt.«
»Abstrakt gesehen, ja. Aber betrachten Sie es im Lichte Ihrer Theorie, dass die Person, die meine Emily entführt hat, auch Kristen Howe entführt hat. Dann ist es nicht so weit hergeholt. Es ist eine Brücke zwischen den beiden Fällen.«
Er strich sich über das Kinn und schien sich für diese Idee zu erwärmen. »Lassen Sie mich das alles ins Hauptquartier zur Untersuchung mitnehmen. Ich glaube auch, wir sollten Mitch O'Brien ausfindig machen und ein für allemal klären, ob er der Absender ist. Ist er noch in Miami?«
»Soviel ich weiß, ja.«
»Ich werde einige Außendienstagenten aus Miami losschicken.«
»Lassen Sie mich erst noch versuchen, ihn telefonisch zu erreichen, bevor Sie Ihre Truppen losschicken. Die Geschichte ist in diesem Fall doch ein bisschen kompliziert.«
»Ich würde es vorziehen, ihn kalt zu erwischen. Immerhin ist er Rechtsanwalt. Geben Sie einem Anwalt Zeit, über alles nachzudenken, und er wird kein Wort mit der
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