Die Entfuehrung
Polizei reden. Aber erwischt man sie unverhofft, sind sie häufig genauso blöd wie der Rest von uns. Wir haben keine Zeit für ein Tänzchen mit dem Typ. Zeit ist von entscheidender Bedeutung.«
»Ja«, sagte sie lakonisch und musste daran denken, dass in knapp fünf Tagen die Wahlen stattfanden. »Wem sagen Sie das!«
»Übrigens«, sagte Harley, »werde ich mich bemühen, über die Geschichte zwischen Ihnen und O'Brien Stillschweigen zu bewahren, aber manchmal sickert bei solchen Dingen doch etwas durch. Ich erwähne das nur, weil Sie gesagt haben, dass Sie nicht einmal mit ihrem Mann über... über ihre kürzliche Auseinandersetzung geredet haben. Es wird ihm wahrscheinlich nicht besonders gefallen, von einem Dritten zu hören, dass Ihr betrunkener Ex-Verlobter sich an Sie heranmacht, Ihnen erst seine unsterbliche Liebe gesteht und Sie im nächsten Moment verflucht, um Ihnen dann vielleicht sogar noch Drohbriefe zu schicken. Er könnte auch denken, dass hinter der ganzen Sache mehr steckt.«
»Das wird mir langsam auch klar«, sagte sie, und Angst stieg in ihr auf. »Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass Peter die Wahrheit erfährt. Und zwar von mir.«
General Howe betrat das Weiße Haus durch den im Ostflügel gelegenen Privateingang des Präsidenten, um den Presseleuten zu entgehen, die vor dem Westflügel in der Nähe des Oval Office herumlungerten. Die persönliche Assistentin des Präsidenten geleitete ihn zum Kartenraum, obwohl er den Weg kannte.
Als Lincoln Howe das letzte Mal das Allerheiligste des Weißen Hauses besucht hatte, befand sich Präsident Sires mitten in seiner stürmischen ersten Amtsperiode. Sires hatte versucht, den General dazu zu bewegen, seinen Rücktritt als stellvertretender Verteidigungsminister zurückzunehmen, und ihm versichert, der derzeitige Minister sei kurz davor, von seinem Amt zurückzutreten, und Howe könne die Führung des Pentagon innerhalb des nächsten halben Jahres übernehmen. Howe war bisher keiner politischen Partei beigetreten. Auch wenn Präsidenten hin und wieder außerhalb ihrer eigenen Partei Ausschau hielten nach Kandidaten für ihr Kabinett, hatte Howe sich dafür entschieden, nicht länger einer Regierung anzugehören, die von den Demokraten gestellt wurde. Vielmehr war ihm damals klargeworden, dass er in seinem Herzen Republikaner war, mit eigenen Ambitionen auf das Präsidentenamt.
Jetzt saß Howe im Sessel neben dem Kamin. Über dem Kaminsims hing eine kleine Landkarte von Europa mit roten Kreisen und blauen Strichen. Laut einer daneben angebrachten Plakette demonstrierte die Karte die Position der alliierten Streitkräfte und derjenigen der Achsenmächte, den letzten Frontverlauf, den Franklin Roosevelt vor seinem Tod gesehen hatte, einige Wochen vor der Kapitulation der Nazis. Der General fand es passend, dass fast alle großen Präsidenten in Kriegszeiten in der Armee gedient hatten oder selbst Kriegshelden gewesen waren. Washington. Lincoln. Beide Roosevelts. Er selbst stand in derselben großen Tradition. Sires nicht, das wusste er.
»Ich habe Ihre Rede gestern Abend gesehen«, sagte Präsident Sires. Er trug einen dunklen Anzug und eine gestreifte Krawatte, seine Amtskleidung. Er ließ sich auf einem Sessel mit Seidenbezug nieder, halb Howe zugewandt, halb in Richtung Kamin. »Hochdramatisch.«
Howe zeigte keine Reaktion. »Die Dramatik war nicht beabsichtigt. Man weiß nie, wie man in solchen Situationen reagiert. Erst wenn man drinsteckt.«
»Dennoch hat es mich überrascht. Ich habe immer gehört, dass Lincoln Howe der Typ General sein soll, der aus seinen Erfahrungen im Vietnam-Krieg gelernt hat. Erkläre nie einen Krieg ohne klar definiertes Ziel. Führe keinen Krieg, den du nicht gewinnen kannst.
»Ich glaube, dass meine Ziele klar sind. Es wird Zeit, dass dieses Land seine Kinder schützt.«
»Ich rede nicht von Ihrer Kriegserklärung gegen Kindesentführer. Ich rede von Ihrer Kriegserklärung gegen diese Regierung.«
Howe zuckte zusammen. »Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann, Sir.«
»Lincoln, ich habe die letzten acht Jahre hart dafür gearbeitet, als Präsident für das Bildungswesen zu stehen. Ich bin stolz auf meine Leistungen. Als scheidender Präsident ist meine Leistung alles, was ich habe. Das Bildungssystem ist mein Vermächtnis.«
»Bei allem nötigen Respekt, aber der Einsatz der Armee zur Bekämpfung der Kindesentführer hat nichts mit Bildung zu tun.«
»Nein. Aber Ihre Herausforderung von gestern
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