Die Entfuehrung
Gedanken und nahm draußen die Mischung aus Apartmenthäusern, kleinen Läden und Restaurants wahr, die den Bereich auf der Pennsylvania Avenue zwischen dem Weißen Haus und dem Capitol, der beliebtesten Strecke für Paraden im Distrikt, neu belebt hatten. Sie hatte immer noch Magenbeklemmungen nach dem Wutausbruch in ihrem Wahlkampfhauptquartier und war sich nicht sicher, ob sie nur so dahergeredet oder tatsächlich so kurz vor der Wahl ihren Wahlkampfstrategen gefeuert hatte.
Natürlich war dem Wutanfall einiges vorausgegangen, angefangen bei den Fotos. Vielleicht stimmte es ja, dass Wilcox nichts mit diesem Typen zu tun hatte, der aussah wie Bozo und Fotos von ihr unten am Fluss in Nashville gemacht hatte. Aber dass die Fotos von Lincoln Howe ohne jedes Zutun von Wilcox an die Presse gelangt waren, konnte sie nicht glauben.
Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zurechtzurücken. Eine Sache ließ sich allerdings nicht abschütteln: der üble Scherz, den ihr eigener Mitbewerber über sie gemacht hatte: »Die Präsidentin mit dem scharlachroten Buchstaben. « Das Leben war seit Kristens Entführung so turbulent geworden, dass sie fast vergessen hatte, dass ihr steiler Absturz in den Umfragen mit den schwachsinnigen Ehebruch-Beschuldigungen begonnen hatte. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr hatte sie den Eindruck, dass die beiden Vorkommnisse - die Beschuldigungen wegen Ehebruchs und die Entführung - zu nah beieinander lagen, um nichts miteinander zu tun zu haben. Und die scherzhafte Bemerkung von Gouverneur Helmers hatte sie auf eine Theorie gebracht, wie sie zusammenhängen könnten.
Sie griff zu ihrem Telefon und rief Harley Abrams auf seinem Handy an.
»Harley, es gibt etwas, das ich Ihnen zeigen muss. Können wir uns im Justizministerium treffen?«
»Es dauert noch ein paar Stunden, bis ich aus Nashville zurückkomme. Um was geht's?«
»Ich - ich kann es nicht beschreiben. Sie müssen es sehen.«
»Faxen Sie es mir zu.«
»Sie müssen das Original sehen, und ich möchte auf keinen Fall, dass Kopien davon in Umlauf geraten. Es ist zu vertraulich.«
»Ich habe im Laufe meiner Karriere durchaus schon mit vertraulichen Angelegenheiten zu tun gehabt«, schnaubte er.
»Hier geht's nicht nur um unsere Arbeit. Es hat mit mir persönlich zu tun.«
Am anderen Ende folgte ein kurzes Schweigen. »Hat das Zeit, bis ich zurück bin?«
Ja«, sagte sie, schwindelig vor Aufregung. »Gerade noch.«
24
Die Büroräume der Justizministerin lagen im fünften Stock des Justizministeriums, mit Blick über die geschäftige Pennsylvania Avenue. Anders als viele ihrer Vorgänger hatte Allison sich geweigert, ihr kleines privates Büro in eine Stätte der Selbstbeweihräucherung zu verwandeln. Keine Plaketten, Auszeichnungen und laminierten Korrespondenzen mit dem Präsidenten bedeckten die mit Walnusspaneelen verkleideten Wände. Eine farbenfrohe impressionistische Landschaft leuchtete an einer Wand. Über dem Kamin hing ein Foto des früheren Justizministers Robert Kennedy, aufgenommen bei einem Spaziergang an einem Strand in New England. Die Möbel waren im frühamerikanischen Stil, einige Originale aus jener Zeit, andere geschmackvolle Reproduktionen. Rechtsliteratur und ausgewählte Belletristik füllten die Bücherregale hinter ihrem Schreibtisch. Über der Tür prangte eine eingerahmte Stickarbeit mit einer Inschrift, die ihre stolze Mutter angefertigt hatte. Die Inschrift zitierte das außen am Justizministerium eingemeißelte Motto: »Gerechtigkeit ist das größte Anliegen der Menschheit«, trug aber in Klammern noch den Zusatz »und mindestens einer Frau«. Ein Foto ihres Ehemanns in der Größe zwanzig mal fünfundzwanzig schmückte die Lederauflage ihres Schreibtischs. Auf der Anrichte stand gleich neben dem Telefon ein kleines gerahmtes Porträt von Allison Leahy mit ihrem Baby auf dem Arm.
Die Sprechanlage summte. »Mr. Abrams ist hier«, kündigte die Sekretärin an.
»Lassen Sie ihn bitte herein.«
Die Tür öffnete sich. Allison begrüßte ihn und bot ihm an, auf der Couch Platz zu nehmen. Sie setzte sich auf den Sessel gegenüber vom Fenster und legte einen Aktenordner auf den Couchtisch
»Das hier wollte ich Ihnen zeigen«, sagte sie. Harley streckte die Hand aus nach dem Ordner, aber Allison hielt ihn noch fest.
»Vorher noch ein wenig Hintergrund«, sagte sie. »Vertraulicher Hintergrund, möchte ich hinzufügen. Was ich Ihnen jetzt erzähle, habe ich nicht einmal meinem Ehemann
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