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Die Entmündigung (German Edition)

Die Entmündigung (German Edition)

Titel: Die Entmündigung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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dieser Ansicht?«
    »Ich behaupte es nicht, ich nehme es nur an. Sie sprach von ihrer Seele wie der selige Ludwig XVIII. von seinem Herzen. Höre! Diese gebrechliche Frau mit ihrem weißen Teint und ihrem kastanienbraunen Haar, die klagt, um sich beklagen zu lassen, hat eine eiserne Gesundheit, einen Wolfsappetit und die Kraft und die Feigheit eines Tigers. Niemals haben Gaze, Seide und Musselin eine Verlogenheit geschickter umwickelt! Ecco.«
    »Du erschreckst mich, Bianchon! Hast du denn so vieles erfahren seit unserm Aufenthalt in der Pension Vauquer?«
    »Ja, seit dieser Zeit, mein Lieber, habe ich Marionetten, Puppen und Hampelmänner zu sehen bekommen! Ich verstehe mich ein wenig auf diese schönen Damen, deren Körper wir behandeln, und auf das, was ihnen am kostbarsten erscheint, ihr Kind, wenn sie es lieben, oder ihr Gesicht, in das sie immer verliebt sind. Man verbringt seine Nächte an ihrem Bette, man quält sich ab, um die geringste Bedrohung ihrer Schönheit von ihnen fernzuhalten, wo es auch sei; und wenn es einem gelungen ist, und wenn man ihr Geheimnis bewahrt, als ob man tot wäre, dann lassen sie sich ihre Rechnung schicken und finden sie schrecklich teuer. Wer hat ihnen geholfen? Die Natur! Fern davon, einen zu rühmen, reden sie Schlechtes über einen und fürchten, uns als Arzt ihren Freundinnen zu empfehlen. Diese Frauen, mein Lieber, von denen ihr sagt: ›Das sind Engel‹! die habe ich ohne ihr Gehabe, mit dem sie ihr Inneres verschleiern, gesehen, ebenso wie ohne ihren Putz, hinter dem sie ihre Unvollkommenheiten verstecken, ohne alle Künstelei und ohne Korsett. Sie sind nicht schön. Wir haben viel Sand und viel Schmutz unter der Flut der Gesellschaft entdeckt, als wir an dem Felsen des Hauses Vauquer saßen; was wir gesehen haben, das war nichts. Seitdem ich in der vornehmen Gesellschaft verkehre, bin ich in Seide gekleideten Ungeheuern begegnet, Michonneaus in weißen Handschuhen, mit Orden behängten Poirets und Grandseigneurs, die geschickter wucherten als der alte Gobseck! Zur Schande der Menschheit sei es gesagt: wenn ich der Tugend die Hand reichen wollte, dann habe ich sie fröstelnd unterm Dachboden gefunden, verfolgt von Verleumdungen, ihr Leben mit fünfzehnhundert Franken Rente oder Einkünften fristend und für verrückt oder für ein Original oder für ein Vieh geltend. Deine Marquise, mein Lieber, ist schließlich eine der Frauen in Mode, und mir ist gerade diese Sorte Weiber entsetzlich. Und willst du wissen, weshalb? Eine Frau mit hoher Seele, reinem Geschmack, sanftem Wesen und reichem Herzen, die ein einfaches Leben führt, hat auch nicht die geringste Chance, in Mode zu kommen. Daraus zieh deine Schlüsse. Eine Frau in Mode und ein Mann der Regierung sind Analogien, aber annähernd mit dem Unterschiede, daß die Eigenschaften, die den Mann über die anderen erheben, ihn groß und berühmt machen, während die Eigenschaften, vermöge deren eine Frau zu ihrer vorübergehenden Herrschaft gelangt, schreckliche Laster sind: sie wird unnatürlich, um ihr Wesen zu verbergen; sie muß, um ihren Kampf in der Gesellschaft durchzuführen, unter einem gebrechlichen Äußern eine eiserne Gesundheit besitzen. Als Arzt weiß ich, daß ein guter Magen ein gutes Herz ausschließt. Deine Frau in Mode empfindet nichts, ihre Vergnügungswut beruht auf dem Wunsche, ihre kühle Natur zu erhitzen, sie verlangt nach Erregungen und Genüssen wie ein Greis, der an der Rampe der Oper Spalier steht. Da sie mehr Verstand als Gemüt besitzt, opfert sie ihrem Triumphe ihre echte Leidenschaft und ihre Freunde, wie ein General seine treuesten Leutnants ins Feuer schickt, um eine Schlacht zu gewinnen. Die moderne Frau ist keine Frau mehr: sie ist weder Mutter, noch Gattin, noch Geliebte; ihr Geschlecht sitzt in ihrem Gehirn, medizinisch gesprochen. So zeigt auch deine Marquise alle Anzeichen ihrer Ungeheuerlichkeit, sie hat den Schnabel eines Raubvogels und den klaren kalten Blick; sie ist so glatt wie der Stahl einer Maschine, sie erregt alles, nur nicht das Herz.«
    »Es liegt etwas Wahres in dem, was du sagst, Bianchon.«
    »Etwas Wahres!« entgegnete Bianchon, »alles ist wahr! Glaubst du denn, daß ich nicht bis ins Innerste durch die beleidigende Höflichkeit getroffen wurde, mit der sie mich die ideale Distanz zwischen dem Adel und uns empfinden ließ? Daß mich nicht ein tiefes Mitleid ergriff mit ihren katzenartigen Schmeicheleien, wenn ich dabei an ihren Zweck dachte? In einem Jahre würde

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