Die Entmündigung (German Edition)
sich in Frankreich wenig legitimer Besitz finden. Das Vermögen des Jacques Coeur hat zwanzig adlige Familien bereichert, die von den Engländern mißbräuchlich zugunsten ihrer Anhänger ausgesprochenen Konfiskationen, damals, als England einen Teil Frankreichs besaß, haben das Vermögen mehrerer vornehmer Häuser begründet. Unsere Gesetzgebung gestattet dem Herrn Marquis unentgeltlich über sein Einkommen zu verfügen, ohne daß er wegen Verschwendung angeklagt werden könnte. Die Entmündigung eines Menschen muß auf der Abwesenheit jeder Vernunft bei seinen Handlungen begründet sein; hier aber beruht der Anlaß für die Ihnen gemachten Rückzahlungen auf den heiligsten und ehrenhaftesten Gründen. Sie können also alles ohne Gewissensbisse behalten und die Welt eine so edle Handlung übel auslegen lassen. In Paris wird die reinste Tugend der Gegenstand schmutzigster Verleumdungen. Es ist traurig, daß der gegenwärtige Zustand unserer Gesellschaftsverhältnisse das Verhalten des Herrn Marquis so erhaben macht. Zur Ehre unseres Landes wünschte ich, daß ähnliche Handlungen nicht als etwas Besonderes angesehen würden; aber die Moral ist jetzt so, daß ich genötigt bin, im Vergleich mit andern Herrn d'Espard als einen Mann anzusehen, dem man eine Krone zuerkennen müßte, anstatt ihn mit einer Klage auf Entmündigung zu bedrohen. Während des ganzen Verlaufs meines langen richterlichen Lebens habe ich nichts gesehen noch gehört, was mich mehr erregt hätte als das, was ich soeben gesehen und gehört habe. Aber es liegt nichts so Außerordentliches darin, die Tugend in ihrer schönsten Form dort zu finden, wo sie von Männern ausgeübt wird, die zur höchsten Klasse gehören. Nachdem ich mich so über diesen Gegenstand ausgesprochen habe, hoffe ich, Herr Marquis, daß Sie meines Stillschweigens versichert sein werden und daß Sie keinerlei Beunruhigung bezüglich des Urteils, wenn eins gefällt werden sollte, zu haben brauchen.« »Na, Gott sei Dank!« sagte Frau Jeanrenaud, »das ist doch noch ein Richter! Sehen Sie, mein werter Herr, ich würde Sie umarmen, wenn ich nicht so häßlich wäre; Sie reden wie ein Buch.«
Der Marquis reichte Popinot die Hand, und Popinot drückte sie sanft mit der seinigen, indem er diesem großen Manne des Privatlebens einen Blick voll durchdringenden Einverständnisses zuwarf, auf den der Marquis mit einem liebenswürdigen Lächeln antwortete. Diese beiden Naturen, so voll und reich, der eine bürgerlich und erhaben, der andere adlig und großdenkend, hatten sich unmerklich geeinigt, ohne Gewalt, ohne Leidenschaftsausbruch, wie wenn zwei reine Flammen miteinander verschmelzen. Der Vater eines ganzen Bezirks fühlte sich würdig, die Hand dieses zwiefach adligen Mannes zu drücken, und der Marquis empfand tief im Herzen eine Bewegung, die ihm anzeigte, daß die Hand des Richters eine von denen war, aus der unaufhörlich Schätze unerschöpflichen Wohltuns entströmen.
»Herr Marquis,« fügte Popinot hinzu, indem er sich verabschiedete, »ich bin glücklich, Ihnen sagen zu können, daß ich nach den ersten Worten dieser Unterredung meinen Schreiber für überflüssig gehalten habe.« Dann näherte er sich dem Marquis, zog ihn in eine Fensterecke und sagte zu ihm:
»Es ist Zeit, daß Sie nach Hause zurückkehren, mein Herr; ich glaube daß in dieser Sache die Frau Marquise Einflüsse geltend macht, die Sie schon von heute ab bekämpfen müssen.«
Popinot entfernte sich, drehte sich mehrmals im Hofe und auf der Straße um und fühlte sich im Gedanken an diese Szene gerührt. Sie gehörte zu den Eindrücken, die sich tief ins Gedächtnis einpflanzen, um in gewissen Stunden, wenn die Seele Trost sucht, wieder aufzublühen.
»Diese Wohnung würde mir gut gefallen«, sagte er sich, als er nach Hause kam.
Am nächsten Tage, gegen zehn Uhr morgens, ging Popinot, der am Abend vorher seinen Bericht abgefaßt hatte, in den Justizpalast in der Absicht, prompt und richtig Recht zu sprechen. Als er in die Garderobe trat, um seine Robe und seine Krause anzulegen, sagte ihm der Saaldiener, daß der Gerichtspräsident ihn bäte, in sein Arbeitszimmer zu kommen, wo er auf ihn warte. Popinot begab sich sogleich dorthin.
»Guten Tag, mein lieber Popinot«, sagte der Richter und führte ihn in eine Fensternische.
»Handelt es sich um eine wichtige Sache, Herr Präsident?«
»Eine Albernheit«, sagte der Präsident. »Der Großsiegelbewahrer, mit dem ich gestern zu speisen die Ehre hatte,
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