Die Entscheidung
abgewandt hatte.
Statt also ihr ganzes Sein auf die nächsten Schritte zu lenken, tat sie … nichts. Sie leckte sich die Wunden, bemitleidete sich selbst und verfluchte Dämonen im Allgemeinen und Beliar im Besonderen. Das war so was von nicht ihre Art. Sie hasste Leute, die sich gehenließen, und nun war sie eine von den Heulbojen, die jeden für ihr vermurkstes Leben verantwortlich machten, nur nicht sich selbst.
Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten sie, als sie Nella in die nahe gelegene Rue d’Andigné Nummer fünfzehn brachte, Marcels Zuhause. Er würde sich um Enzos Freundin kümmern und dafür sorgen, dass sie sicher in den Klub kam.
Blanche hatte etwas zu erledigen. Sie brauchte Infos, und sie kannte jemanden, der sie ihr besorgen würde. Zuvor hatte sie allerdings eine Verabredung mit Mr. Merlot, denn nach diesem Nachmittag brauchte sie etwas zu trinken.
Seit ihr internes Betäubungssystem nicht mehr funktionierte, musste Alkohol den Job erledigen. Früher war das die Aufgabe ihrer allgegenwärtigen Wut gewesen, aber hier machte seit Neustem jeder, was er wollte. Nie war der Zorn da, wenn sie ihn brauchte, und wenn er endlich aufkreuzte, war alles schon vorbei und er konnte wieder Leine ziehen.
*
Marcel wischte sich den Schweiß von der Stirn und entließ Ramirez mit einem knappen Nicken. Bis vor Kurzem war er sein Bodyguard gewesen, doch seit seiner Verletzung war er nicht hundertprozentig einsatzfähig. Vielleicht würde er nie wieder der Alte werden, das konnte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Er wusste, dass der hünenhaften Kubaner den Gedanken hasste, nicht mehr Marcels Schatten zu sein, doch für Männer wie ihn hatte er immer Platz in seiner Organisation. Er war ein harter Brocken, konnte einiges einstecken und hatte seine Loyalität mehr als einmal bewiesen. Und Blanche mochte ihn. Sie mochte nicht viele Menschen, aber wenn sie jemanden an sich heranließ, hatte das immer einen Grund. Sie war so etwas wie eine Stimmgabel, konnte Dreckschweine und Verräter hundert Meter gegen den Wind wittern. Interessanterweise war ihr das nicht mal bewusst.
Ramirez war weder ein Verräter noch ein Schwein. Er war ein zuverlässiger Mann und erstklassiger Kämpfer. Selbst wenn er nicht mehr sein Leibwächter wäre, konnte er seine Männer trainieren. Und ihn.
Er schwang sich das Handtuch über die Schultern, verließ das Dojo und machte sich auf den Weg in die erste Etage. Nachdem er das Badezimmer erreicht hatte, zog er die Kampfsporthose aus und trat unter den dampfenden Wasserstrahl der Dusche.
Er liebte das Kämpfen. Auf diese Weise baute er Stress ab, außerdem erdete es ihn. Der Canne war eine spezielle Kampfform, ein Mix aus Fechten und Savate . Man konnte es auch Kickboxen mit Stock nennen. Er hatte sein Leben damit verbracht, zu kämpfen, nichts war ihm geschenkt worden. Er hatte sich von ganz unten bis an die Spitze gearbeitet. Hatte den Mund gehalten und gelernt. Wie man sich in den besseren Kreisen bewegte, wie man redete, lachte … flirtete.
Frauen hatten ihm Scheine bündelweise zugesteckt, als wäre er ein verdammter Stricher. Es war ihm egal gewesen. Alles, was zählte, waren seine Ziele, und er erreichte eines nach dem nächsten. Als er genug verdient hatte, schickte er die Frauen, die glaubten, ihn benutzen zu können, zurück zu ihren Ehemännern, die ihnen außer Reichtum nichts zu bieten hatten. Ein süßes Leben voller Leere. Das Leben, das sie gewählt hatten.
Mittlerweile hatte er sich einen Namen gemacht und seine Clubs liefen gut. Um nicht alles wieder zu verlieren, hielt er sich aus den Konflikten der rivalisierenden Syndikate raus, blieb neutral – ganz der Schweizer. Doch er war kein Eidgenosse, er stammte aus Montpellier in Südfrankreich. Nur wenige wussten von seiner Herkunft, Blanche war eine davon.
Sie war eine seiner größten Herausforderungen gewesen, denn normalerweise standen Frauen Schlange, um bei ihm zu landen. Er konnte keinen Club betreten, schon hingen sie an seinem Arm. Verließ er ihn wieder, fand er String-Tangas mit Telefonnummern unter den Wischblättern seines Wagens, es war absurd. Bald schon gehörte es zu den Aufgaben seiner Männer, die Slips regelmäßig zu entsorgen. Blanche hatte darüber gelacht, aber er wusste es besser. Sein Mädchen war eine treue Seele, und die Vorstellung, dass er Abend für Abend eindeutige Angebote bekam, schmeckte ihr nicht. Umgekehrt hatte sie ihm nie Anlass zur Eifersucht gegeben – bis
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