Die Entscheidung
zu ihrem überstürzten Aufbruch nach Paris.
Da hatte er geglaubt, sie zu kennen und musste feststellen, dass er sie kein bisschen kannte. Nicht mal ihren richtigen Namen hatte sie ihm verraten. Hier in Paris kannte man sie als Erienne, die Profikillerin, in den Clubs war sie als schwarzer Engel bekannt. Aber sie war Blanche, sein Mädchen. Wenn sie sich tatsächlich in einen anderen verliebt hatte, schien dieser Loser ihre Gefühle nicht zu erwidern, denn seit er sie beschatten ließ, war niemand bei ihr aufgetaucht. Und sie besuchte keinen Lover, das hätte er gewusst. Sie war allein und wirkte unglücklich. In den letzten Wochen hatte er sich zurückgehalten, um ihr Raum zu geben. Aber damit war jetzt Schluss. Sie brauchte keinen Raum, sondern einen Mann, der für sie da war. Nach außen mochte sie das taffe Miststück sein, aber wenn sie zusammen waren, gab es nur sie und ihn. Ihre Kratzbürstigkeit, ihre Härte, die Unnachgiebigkeit – all das ließ sie vor der Schlafzimmertür, denn in seinen Armen war sie Blanche, die Leidenschaftliche. Dann war nichts Hartes oder Taffes an ihr. In diesen Momenten war sie sie selbst, und er würde sich das von niemandem kaputt machen lassen. Sie war sein, und er würde sie sich zurückholen.
Nachdem er geduscht und umgezogen war, schnappte er sich die Autoschlüssel zu seinem Geländewagen und fuhr los. Nur wenige kannten Blanches ständig wechselnden Schlafplatz, und er wusste es nur, weil Ramirez geduldig und ein verdammt kluger Bursche war. Blanche hatte den Kubaner ausgebildet, deswegen kannte er ihren Stil, wusste, worauf er achten musste.
Heute hatte sie sich in einer Seitenstraße der Rue la Fayette einquartiert. Ein geschickter Schachzug. Die Nähe des Gare du Nord, einem der meist frequentiertesten Bahnhöfe Europas, garantierte ein schnelles Entkommen, sollte es brenzlig werden. Die nächste Metrostation befand sich einen Katzensprung von ihrem Hotel entfernt, nicht zu vergessen die Rue la Fayette, eine der Hauptverkehrsadern im zehnten Arrondissement. Blanche hatte sich im infrastrukturellen Bermudadreieck angesiedelt. Wer untertauchen wollte, war hier an der richtigen Adresse.
Was er nicht verstand, war die Tatsache, dass sie sich die dreckigsten Absteigen der Stadt ausgesuchte. Billige Bahnhofshotels ohne jeden Komfort. Fast hatte es den Anschein, als wollte sie sich bestrafen.
Da er sie kannte, wusste er, welche Sicherheitsmechanismen sie an der Tür installiert hatte, deswegen wunderte er sich, dass es so einfach war, bei ihr einzudringen. Vor zwei Monaten hätte er kein Zimmer betreten können, das sie gesichert hatte, dazu war sie zu sehr auf der Hut gewesen.
Marcel schloss die Tür hinter sich und schluckte. Einmal. Zweimal. Zum Teufel, sie war schön. Blanche lag bäuchlings auf dem Bett, das Laken zerwühlt, der Kopf steckte halb unter dem Kissen. Ihr pechschwarzes Haar war wie ein Fächer über die weiße Bettwäsche gebreitet. Außer einem schwarzen Pantie trug sie nichts, was ebenfalls nicht ihrer Art entsprach.
Vorsichtig trat er einen Schritt näher.
Ihre Haut wäre makellos, wären da nicht die zahlreichen Narben verheilter Schusswunden. Auf ihrem Rücken befand sich eine Anordnung blasser Linien. Es sah aus, als wäre sie ausgepeitscht worden, ein Anblick, bei dem er jedes Mal auf etwas einschlagen wollte. Es musste passiert sein, als sie sehr jung gewesen war.
Sie hatte nie gesagt, wie sie dazu gekommen war, und lange Zeit hatte er nicht gefragt. Als er es dennoch tat, war sie so wütend geworden, dass er sie beinah verloren hätte. Am Ende musste er akzeptieren, dass sie nicht darüber reden wollte. Wer konnte es ihr verübeln? Er würde sich eher einen Schürhaken ins Bein rammen, als ihr von seiner Kindheit zu erzählen.
Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu, ungläubig, dass er so weit gekommen war, ohne sie zu wecken. Als ein Muskel an ihrer Schulter zuckte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Sie war wach. Und bereit.
„Weißt du, Blanche“, sagte er und setzte sich auf die Bettkante, „du hast den mit Abstand knackigsten Hintern, der mir je untergekommen ist.“
Sie schnaubte unter dem Kissen. Dann zog sie die Hand mit der Waffe aus den verhedderten Laken, drehte sich zu ihm und stützte sich auf einen Ellenbogen.
Marcel schluckte abermals und fragte sich, ob sie es hören konnte. Sie sah wirklich wie ein Engel aus, kein Racheengel, sondern einer, der auf die Erde gekommen war, Männer in den Wahnsinn zu treiben.
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