Die Entscheidung
Zeit verschwenden, je früher sie einen Gefährten für Blanche besorgte, desto besser. Sie würde beim Tierheim anfangen. Dort lebten die ärmsten Kreaturen der Stadt, mit denen kannte sie sich aus.
5
O bwohl sie ihr ganzes Leben in Paris verbrachte hatte, war Blanche noch nie im Louvre gewesen. Wozu auch. Dort hingen alte Schinken, für die sich bloß stinkreiche Säcke interessierten, die das Zeug als Investmentanlage betrachteten. Oder Studenten, die wünschten, so zu malen, um berühmt zu werden, damit sie endlich jemand wahrnahm. Und dann wollte alle Welt die Mona Lisa sehen, dabei hing dort nur ein Duplikat. Das echte Bild lagerte im Keller, tief unter dem Museum, also wo bitte schön, war da der Witz? Um sich eine Kopie anzusehen, konnte sie sich auch eine Postkarte kaufen, und selbst dann war nicht sicher, ob das ein Foto von der echten oder der falschen Mona war.
Was sie bei diesem Besuch am meisten störte, war die Vorstellung, dass es dort von Polizisten nur so wimmeln würde. Nach den Anschlägen waren die Sicherheitsmaßnahmen verschärft und die Öffnungszeiten eingeschränkt worden. Überall hingen Kameras, und man musste sich von den Bullen erst abtasten- und danach von einem Metalldetektor scannen lassen. Warum sich Tchort ausgerechnet hier mit ihr treffen wollte, war ihr schleierhaft. Sie wären nicht mal allein. Denn obwohl ihr die Vorstellung, all ihre Waffen zurücklassen zu müssen, nicht schmeckte, war die Aussicht auf das Gedränge in den Gängen, der eigentliche Knackpunkt.
Menschen waren auch so schon anstrengend, in Massen wurden sie unberechenbar. Sie war drauf und dran, das Ganze abzublasen, doch vermutlich hatte Tchort sich etwas dabei gedacht. Angst vor ihren Waffen musste er nicht haben, nur der Recaller konnte ihm etwas anhaben. Und der war nichts, das in eine Handtasche passte.
Vielleicht wollte er sie schützen, aber hätte er dann nicht eine Kirche oder einen Friedhof wählen sollen, von wegen geweihtem Boden und so? Wobei sie sich nicht sicher war, ob er als Ex-Dämon dazu in der Lage wäre. Seltsam, dass sie Beliar nie danach gefragt hatte.
Der Gedanke an ihren Dämon ließ ihr Herz auf Rosinengröße zusammenschrumpfen, darum fokussierte sie sich auf ihre Umgebung. Von Marcels Männern abgesehen war ihr ihr niemand gefolgt, und die hatte sie drei Häuserblocks zuvor abgehängt.
Tchort wollte sie um halb zehn im Museum treffen, vermutlich, weil die Kunsthalle eine Viertelstunde später schloss. Das bedeutete, dass das entweder ein kurzes Gespräch werden würde, oder er plante, danach woanders mit ihr hinzugehen.
Nachdem sie ihr Ticket bezahlt hatte, stand sie einen Moment unentschlossen im Foyer. Eine Hand steckte in der Außentasche ihres schwarzen Kurzmantels, die Fingerspitzen berührten die glatte Oberfläche des Barytpapiers. Sie hatte das Foto von Tchort mindestens hundertmal hervorgeholt, dennoch wurde sie nicht müde, es anzustarren, manchmal stundenlang. Was sie am meisten erstaunte, war, dass der Mann auf de m Bild ganz normal aussah. Weder hatte er etwas Dämonisches noch ähnelte er sonst wie einem Diener des Teufels. Keine Hörner, keine Flammen, nicht mal ein mickriger Blitz zuckte im Hintergrund – dabei waren Blitze seine Spezialität. Schwarze, um genau zu sein. Sie waren der Grund für seinen Spitznamen Schwarzer Gott, denn eigentlich hätte er dazu nicht in der Lage sein dürfen. Als Herr des Ostens beherrschte er die Materie, Erde, nicht Luft oder Wasser. Nichtsdestotrotz war es ihm gelungen, über die Aufladung der Erde Blitze zu erzeugen, was es ihm ermöglichte, mit gewissen Einschränkungen auch den Wind zu beherrschen, und somit das Wasser. Denn Wind brachte Wolken, und diese trugen Regen in sich. Kein Erzdämon war dazu in der Lage, dennoch hatte Tchort ein Dasein als Großfürst gefristet, weil Saetan es ihm übel nahm, dass er ohne sein Zutun derart mächtig geworden war. Woher sie das wusste? Leo, die alte Plaudertasche, hatte sich eines Abends im Le Nova zu ihr gesetzt, sich mit Single Malt zugedröhnt, und ihr Anekdoten aus dem Leben seines ehemaligen Patrons erzählt. Es war ein bisschen so, als wenn Opa vom Krieg erzählte. Dennoch hatte sie zugehört, immerhin gab er Geschichten von Tchort zum Besten, ihrem durch Abwesenheit glänzenden Vater.
Sie schlenderte ohne Eile durch die Gänge des Museums, die aufgrund der ausbleibenden Touristen nicht so vollgestopft waren, wie sie befürchtet hatte. Dank des Fotos wusste sie, wie
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