Die Entscheidung
ganze Gegend nach euch abgesucht, hab sämtliche Spitzel ausgequetscht, aber es war, als würde es dich nicht geben. Und über den Typen war noch weniger rauszubekommen. Es hat mich zwei Jahre gekostet, seinen Namen zu erfahren – seinen Decknamen versteht sich. Fünf Jahre habe ich gebraucht, bis ich endlich eine heiße Spur hatte, und auch nur deswegen, weil die Russen ebenfalls hinter euch her waren. Doch als ich euer Apartment gefunden habe, hatten die bereits Schweizer Käse daraus gemacht – von euch gab es keine Spur. Erst als …“ Er brach ab.
Vorsichtig entzog sie ihm ihre Hand. Erst nachdem Wayne ermordet wurde und sie aus ihrem Schweizer Exil zurückkehrte, gab es wieder eine Spur, schon klar.
Irritiert runzelte sie die Stirn.
„So, wie du es beschreibst, hört es sich an, als hättest du die letzten zehn Jahre damit verbracht, mich zu finden. Was hast du die ganze Zeit getrieben?“
Ein trauriges Lächeln huschte über seine Züge, dann ergriff er wieder ihre Hände.
„Ich habe nie aufgehört, dich zu suchen, Blanca. Darum habe ich eine Aufgabe übernommen, in der ich das eine mit dem anderen verbinden konnte.“
„Chasseur?“ Sie versuchte vergeblich, den Sarkasmus aus ihrer Stimme zu verbannen.
Von ihrer letzten Begegnung mit Cam wusste sie, dass Andrej zur Hälfte Dämon war, was er heute Abend durch seine Nebel-Show bestätigt hatte. Nicht jedes Halbblut besaß Kräfte dieser Art, nur die Nachkommen mächtiger Dämonen mit einem starken Willen wurden damit ausgestattet. Viele von ihnen überlebten ihre Pubertät nicht, denn diese Macht war eine große Bürde. Die Verantwortung, die mit den Kräften einherging, konnte ein Kind auf der Schwelle des Erwachsenwerdens innerlich zerreißen.
Cam hatte ihr ebenfalls erzählt, dass Andrej von Miceal damit beauftragt wurde, auf sie aufzupassen. Der Engel hatte ihm gegeben, was er brauchte, um sie durchzubringen, was erklärte, warum sie so oft Glück hatten.
Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr erschien ihr die Zeit auf der Straße wie ein schlechter Witz: Ein Elfjähriger, der eine Achtjährige vor den Schrecken der Großstadt beschützte. Im Winter, ohne Geld und ohne Kontakte. Doch damals war sie ein Kind gewesen, das dem Albtraum eines Missbrauchssystems entkommen war. Sie hätte vermutlich alles geglaubt, um bei Andrej bleiben zu dürfen.
Von Cam wusste sie auch, dass Andrej mit seinen knapp elf Jahren bereits zwei Morde auf dem Kerbholz hatte. Als frei herumstreifender Halbdämon stellte er mehr und mehr eine unberechenbare Gefahr dar, darum hat Miceal eingegriffen, und ihn unter seine Fittiche genommen.
In diesem Zusammenhang hatte er ihm die Aufgabe übertragen, auf Blanche aufzupassen, damit er sich bewähren konnte. Es gehörte zu Miceals Job, die Dämonen auf der Erde im Auge zu behalten, und sie, wenn sie aus der Reihe tanzten, an die Verträge zu erinnern. Und wenn das nichts half … Nun ja, als Erzengel brauchte er keinen Recaller, um ungebetene Gäste kaltzustellen, Verzeihung, zu erlösen.
Andrej grinste. „Ich sehe, du bist gut informiert.“
Blanche seufzte und lehnte sich gegen die gepolsterte Rückbank. „Cam“, sagte sie, und das eine Wort reichte, um sein Lächeln in Schieflage zu bringen.
„Oh“, gab er zurück, und kratzte sich den Nacken. „Dann hast du sie also getroffen.“
Das war keine Frage, darum sah sie ihn nur an und verdrehte die Augen, was ihn abermals zum Lachen brachte.
„Sie ist ziemlich … ähm, bossig“, gab er schmunzelnd zurück.
Was die Untertreibung des Jahres war.
„Und besitzergreifend“, erwiderte sie, und brach ein Stück Tarte ab.
Als sie seinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, ergänzte sie: „Du weißt schon, du und sie – sie hätte mir beinahe die Augen ausgekratzt.“
Darauf warf er den Kopf zurück und lachte.
Sie beobachtete ihn und fand, das er noch immer das gleiche Lachen von damals hatte, leicht und unbeschwert.
„Das ist nichts Persönliches“, sagte er, nachdem er wieder Luft bekam. „Cam glaubt, dass jeder nach ihrer Pfeife tanzen muss, und ich bin der Einzige, bei dem sie keinen Fuß auf den Boden bekommt.“ Er zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. „Sonst läuft da nichts.“
Vielleicht sollte er der guten Camille beizeiten ein Memo schicken, aber das behielt sie für sich. Sie hatte nicht das Bedürfnis, sich in sein Liebesleben zu mischen – zum Teufel, sie wollte sich nicht mal um ihr eigenes
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