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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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nicht einmal einen Blick auf Summers Haar erhaschen konnte …
    Noch bevor sie hinaustrat, wusste sie, dass etwas nicht stimmte.
    Sie war nicht im Freien. Sie war in einem Raum. Und die anderen waren nicht bei ihr, denn sie konnte keine Taschenlampen sehen.
    Oh Gott, wo bin ich denn jetzt?
    Sie griff hinter sich und war nicht im Mindesten überrascht, dass sie nicht die Drehtür zu fassen bekam. Sie war irgendwo, wo es kein Licht und keinen Ausgang gab.
    Und jetzt werde ich vermutlich gleich wieder die Augen sehen.
    Stattdessen sah sie ein kleines schimmerndes Licht und einen Jungen in einem schwarzen Mantel.
    »Julian?« Er sah so anders aus. »Julian!«
    Jenny rannte auf ihn zu, um der Einsamkeit der Schatten zu entfliehen. Er kam ihr keinen Zentimeter entgegen.
    Zum ersten Mal war sie froh, ihn zu sehen. Ja, geradezu glücklich; das Glücksgefühl erblühte in ihr wie eine
Blume, die ihre Blütenblätter rasch entfaltet. Atemlos blieb sie vor ihm stehen. Und triumphierend.
    »Du warst das, nicht wahr? Du hast uns Summer zurückgegeben.«
    »Ich habe sie dir zurückgegeben.« Seine Stimme war gedämpft, mürrisch. Er war bescheidener gekleidet als je zuvor. Der schwarze Mantel umhüllte ihn wie ein Schatten.
    »Danke. Du hast ja keine Ahnung …« Sie hielt inne. Julian hatte wahrscheinlich sehr wohl eine Ahnung. Er hatte Jenny jahrelang beobachtet; er wusste, was Summer ihr bedeutete. Er wusste wahrscheinlich sogar, dass sie sich die Schuld an Summers Tod gegeben hatte.
    »Ist sie – okay? Ich meine, wirklich okay, im Innern?«, fragte Jenny. Sie hatte Angst, die Worte auszusprechen, und Angst vor der Antwort.
    »Sie ist okay. Sie hat geschlafen. Wie die Prinzessin, die sich an einer Spindel den Finger sticht. So gut wie neu.« Julian sagte das völlig tonlos und wirkte immer noch mürrisch. Beinahe – misstrauisch.
    Jenny ignorierte es und sah direkt in seine umschatteten, blauen Augen.
    »Danke«, wiederholte sie ganz leise und wandte ihren Blick nicht ab, damit er sehen konnte, was sie empfand.
    Julians Wimpern senkten sich, als könne er ihrem Blick nicht standhalten.
    »Julian.« Jenny berührte die beiden Ärmel des schwarzen Mantels, direkt unter den Schultern. »Du hast etwas
Gutes getan. Du solltest jetzt nicht so tun, als müsstest du dich dafür schämen.«
    »Ich hatte meine Gründe dafür.« Er sah sie an, ein schnelles Aufflackern von blauem Feuer, dann wandte er den Blick wieder ab.
    »Warum versuchst du, es zu verderben? Du hast es getan, das ist alles, was zählt.« Warum nur ist er jedes Mal aufs Neue ein anderer?, fragte sich Jenny. Bei ihrer letzten Begegnung war Julian besorgt und traurig gewesen – verletzlich. Er hatte ihr beinahe leid getan. Jetzt war er kalt und abweisend – grollend. Sie hätte ihn am liebsten geschüttelt.
    Aber sie hatte zu große Angst. So etwas machte man nicht mit Julian.
    »Weißt du«, begann sie und kam noch etwas näher, obwohl sie wusste, dass sie ein Risiko einging, »es gab eine Zeit, da dachte ich, du seist durch und durch böse. Durch und durch. Aber jetzt glaube ich das nicht mehr. Ich denke nicht, dass du so schlimm bist, wie du zu sein vorgibst.«
    Er sah auf, und das blaue Feuer brannte stetig. »Da irrst du dich. Verlass dich nicht darauf, Jenny. Verlass dich nicht darauf.«
    Der Klang seiner Stimme machte ihr Angst – so melodisch und kalt wie noch nie zuvor. Die mitleidlose Melodie eines klaren Bergflusses, der plötzlich anschwellen und alle töten konnte, die ihm im Weg waren.

    »Ich glaube es immer noch nicht«, hauchte Jenny. Sie wollte den Blick nicht von ihm abwenden; sie war ihm jetzt sehr nah.
    »Ich habe dir gesagt, du irrst dich. Ich bin, was ich bin, und nichts kann daran etwas ändern.« Er stand einfach nur da, unverrückbar wie ein Fels, was Julian überhaupt nicht ähnlich sah.
    Jenny krallte die Finger in die Ärmel seines Mantels. »Du hast Summer nicht getötet, im Papierhaus. Du hast sie gerettet.« Sie stieß die Worte hervor, als sei sie wütend.
    »Ja«, sagte er kalt.
    »Und du hättest sie töten können, die Regeln besagten, dass du es tun konntest.«
    »Ja.«
    »Was ist mit Slug und P. C.?«
    Er sah sie nur an.
    »Stell dich nicht dumm, Julian!« Jetzt hätte sie ihn beinahe wirklich geschüttelt, so wütend war sie. Aber stattdessen stand sie ebenso steif und reglos da wie er, ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. »Hast du Slug und P.C. getötet? Hast du sie zu dem gemacht, was sie jetzt

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