Die Entscheidung der Hebamme
Christian und Dietrich am nächsten Tag ins Dorf zurückkehrten, hielt der Ritter sofort Ausschau nach Marthe. Er musste nicht lange suchen, sie kam ihm schon entgegen, dicht gefolgt von Lukas.
»Morgen. Mit allen Rittern und dreißig Mann Fußvolk«, beantwortete Christian knapp die unausgesprochene Frage. Er erteilte Walther, dem Hauptmann der Wache, ein paar Anweisungen, dann sagte er zu Marthe und Lukas: »Wir müssen reden«, und lief voran ins Haus.
Sie alle wussten, jetzt ging es darum, was aus Marthe würde.
Vor einiger Zeit hatte sie mit Christian sogar die Möglichkeit diskutiert, ihn und seine Männer zu begleiten, wenn sie zum Feldzug gerufen wurden. Und sie war Christian dankbar, dass er diese Überlegung nicht sofort zurückgewiesen hatte.
Frauen im Heerlager waren nichts Außergewöhnliches: Es gab nicht nur Marketenderinnen und Huren, sondern auch adlige Damen, sogar Königinnen und Fürstinnen, die ihre Männer begleiteten und abseits der Schlachtfelder warteten, wie der Kampf ausgehen würde. Warum nicht auch eine Heilerin, deren Können mit Sicherheit gebraucht würde?
Doch seit sie wussten, dass Brabanzonen zu den Streitmächten gehörten, mit denen die Wettiner auf einer Seite kämpften, war klar, dass Marthe nicht mit ihnen ziehen würde. Sie hatte genug über die Rottenknechte gehört, um zu wissen, dass in deren Nähe kein Platz für eine Frau war. Die Brabanzonen scheuten vor keiner Greueltat zurück, nicht einmal im eigenen Lager. Dabei dachte Marthe weniger an ihre eigene Sicherheit als an Christians: Seine Aufmerksamkeit im Kampf durfte nicht durch die Sorge abgelenkt sein, ob sie in Gefahr war.
Doch davon, wer das Kommando über die Burg bekam, hatte Christian abhängig machen wollen, ob er sie hierließ oder zusammen mit den Kindern zu Raimunds Frau Elisabeth auf die Güter ihres Freundes bringen würde.
In der Kammer entzündete Marthe eine Kerze und schenkte Wein ein.
Christian wartete gar nicht erst, bis jeder seinen Becher hatte.
»Otto überträgt seinem ältesten Sohn das Kommando über die Burg, solange ich und meine Männer fort sind«, begann er sofort, noch ehe er sich setzte. »Und so, wie wir Albrecht kennen, sollten wir Marthe und die Kinder besser vorher noch zu Elisabeth bringen. Lukas, kannst du das übernehmen und uns dann nachreiten? Ich muss bleiben, um Albrecht die Befehlsgewalt zu übergeben.«
Er sah zu Marthe und Lukas, die ihm gegenüber auf der Bank saßen, und wartete auf Zustimmung.
Lukas blickte Marthe an und schwieg. Er hatte erkannt, dass Marthe zu einer anderen Entscheidung gekommen war. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, Christian davon zu überzeugen.
»Gerade deshalb sollte ich bleiben. Es sind genug Leute hier, die mir zur Seite stehen, wenn er es zu arg treibt«, sagte sie mit fester Stimme.
»Du weißt, welche Heimtücke er gegen seinen Bruder walten lässt«, hielt Christian ihr vor. »Er wird dir heimzahlen, dass wir Dietrich aufgenommen haben, dich demütigen und seine ganze Macht ausspielen.«
»Er ist ein zwanzigjähriger, verwöhnter Bengel«, meinte Marthe schnippisch.
»Und du eine würdige Gevatterin von stattlichen fünfundzwanzig Jahren?«, versuchte Lukas, die zunehmend angespannte Stimmung aufzulockern.
»Er ist der Sohn des Markgrafen und ein Ritter des Königs«, fuhr Christian verärgert dazwischen. »Und er wird keine Gelegenheit auslassen, das herauszukehren, wenn sein Vater und der König weit weg sind. Zumal keiner von meinen Rittern mehr hier sein wird. Und Walther zählt nicht für ihn, weil er nicht von Stand ist.«
»Das weiß ich. Gerade deshalb sollte ich bleiben«, widersprach Marthe leidenschaftlich.
Dann redete sie leiser weiter, die Lider gesenkt. »Ich will nicht wieder jedes Mal fliehen müssen, wenn du fort bist. Zumal es ja beim letzten Mal auch nicht geholfen hat.«
Sie biss sich auf die Lippe. Die Männer verstummten angesichts der Erinnerungen, die Marthes Worte heraufbeschworen.
Vor fünf Jahren hatte Christian Marthe und die Kinder zu Elisabeth gebracht, als sie befürchteten, dass ein eifersüchtiger Medicus oder ein übereifriger Geistlicher ihr im Dorf gefährlich werden konnte, während Christian mit dem Markgrafen unterwegs war. Doch die Häscher hatten sie auch auf Raimunds Gütern aufgespürt, in Ketten fortgeführt und in den Kerker geworfen, bis Ekkehart sie rettete. Wochenlang hatte Christian glauben müssen, Marthe sei tot. Und die Spuren der Folter auf ihrem Körper waren immer noch
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