Die Entscheidung der Hebamme
Christiansdorf eingetroffen waren. Raimund musste erst lautstark einen Stallburschen herbeirufen, der ihnen die Pferde abnahm und versorgte.
Währenddessen sah sich Dietrich gespannt um. Er war seit seinem achten Lebensjahr nicht mehr auf der Burg seines Vaters gewesen. Obwohl er sich seine Kindheitserinnerungen bewahrt hatte, so gut es ging, erkannte er kaum etwas wieder. Die Befestigungsmauern um die Burg waren verstärkt worden, etliche hölzerne Bauten durch steinerne ersetzt, und wenn er auch vom Hof des Kaisers Prunk gewohnt war, überraschte ihn doch, um wie vieles prachtvoller die einst vergleichsweise schlichten Hallen geworden waren, in denen er aufgewachsen war. Jetzt erst begriff er zur Gänze, was das Christiansdorfer Silber für seinen Vater bedeutete.
Doch Christian und Raimund ließen ihm keine Zeit zum Staunen. Zielstrebig drängten sie sich durch das Gewühl Richtung Palas. Gelegentlich begrüßten die beiden Ritter diesen oder jenen, ohne sich länger aufzuhalten.
Während Dietrich ihnen folgte, versuchte er, sich innerlich auf das Kommende vorzubereiten. Dass ihn sein Vater sicher nicht freudig in die Arme schließen würde, darauf war er gefasst. Aber Raimund hatte ihn vorgewarnt, dass auch sein Bruder auf dem Burgberg war und an der Besprechung teilnehmen würde. Also biss er die Zähne zusammen und übte sich in stoischer Gelassenheit, die allerdings seinem Temperament deutlich widersprach.
»Christian! Gut, dass Ihr da seid!« Otto schien diesmal vergleichsweise zufrieden gestimmt. Was ihn jedoch nicht hinderte, seinen jüngeren Sohn nur mit einem flüchtigen Blick zu streifen.
Der Markgraf saß nicht wie gewohnt auf seinem reichverzierten Stuhl, sondern hatte sich vor einem Tisch mit ausgebreiteten Pergamenten und Karten aufgestellt. Neben ihm standen Ekkehart, dessen Freunde Elmar und Giselbert und Ottos ältester Sohn. Albrecht hatte die Arme verschränkt und blickte verächtlich auf die Neuankömmlinge.
»Kommen wir gleich zur Sache«, meinte der Markgraf. »Ich will Euch beim Feldzug dabeihaben, Christian. Auf einen so erfahrenen Kämpfer kann ich nicht verzichten. Ich übertrage Euch das Kommando über die Hälfte meiner Män-ner.«
Christian nickte knapp, sein Gesicht ließ keine Regung erkennen. »Wie viele Bewaffnete soll ich mitbringen?«
»Sämtliche Eurer Ritter und dreißig Mann Fußvolk und Reisige.«
Alle Ritter, und dazu nur dreißig Mann? Christian wunderte sich. Vor Jahren, als es um eine neue Steuer für den Italienfeldzug des Kaisers ging, hatte Otto gedroht, einhundert Männer unter Waffen aus Christiansdorf zu fordern.
»Mehr nicht«, bekräftigte der Markgraf. »Und es soll kein Bergmann dabei sein, kein Schmied, kein Schmelzer und niemand sonst, der mit dem Silberbergbau zu tun hat. Die Förderung darf nicht stocken.«
Dass Otto keine Mineure mitnehmen wollte, verwunderte Christian noch mehr. Erfahrene Bergleute waren geeignet wie niemand sonst, unterirdische Gänge anzulegen, durch die man eine Burg erreichen und einnehmen konnte.
Und ihn sorgte, dass er keinen seiner Ritter auf der Burg lassen durfte. Konnte er Marthe unter dem Schutz von Walther, dem Befehlshaber seiner Wachen, zurücklassen?
»Wem wollt Ihr so lange das Kommando über die Christiansdorfer Burg erteilen? Und habt Ihr Befehle, die Euren Sohn Dietrich betreffen?«, fragte er.
»In Eurer Abwesenheit wird mein Erstgeborener Befehlshaber Eurer Burg. Diese Aufgabe kann er wohl bewältigen und dabei gleich noch dazulernen, wie man regiert. Dietrich« – wieder streifte Otto seinen Jüngeren nur mit einem Blick – »wird Euch begleiten. Als Knappe. Mag sein, er findet im Krieg eine Gelegenheit, seine Ehre wiederzuerlangen und sich den Rang eines Ritters zu verdienen.«
Christian hatte Mühe, seine Verbitterung zu verbergen. Deshalb also forderte Otto alle seine Ritter, ließ aber ansonsten die Christiansdorfer Burg gut besetzt. Albrecht konnte auf sicherem Posten bleiben und zusammen mit seinen eigenen Leuten den Befehlshaber einer ausreichend bemannten Festung spielen, während Otto seinen Jüngeren an vorderste Front zu schicken und womöglich zu opfern bereit war.
Als hätte der Markgraf Christians Gedanken gelesen, sagte er: »Dietrich, geh und verabschiede dich von deiner Mutter. Und Ihr, Christian, werdet Albrecht übermorgen die Schlüssel und die Befehlsgewalt über die Burg übergeben. Danach stoßt mit Euren Gefolgsleuten zu uns auf der Straße nach Chemnitz.«
Als
Weitere Kostenlose Bücher