Die Entscheidung der Hebamme
jüngeren Sohn und nicht Albrecht vererbte. Jetzt, nachdem Otto erstmals seinen Ältesten in die Schranken gewiesen hatte und ihn mit einer vagen Spur von Misstrauen beäugte, konnte sie nicht fortgehen.
Wie sie es drehte und wendete – ihnen blieb nichts, als sich weiter ab und an zu den Hoftagen heimlich zu treffen, bis sie irgendwann entdeckt würden. Und irgendwann würde das Unvermeidliche eintreten.
Otto würde sie auf der Stelle töten. Eine öffentliche Bestrafung kam nicht in Frage. Die Blöße, vor aller Welt gehörnt worden zu sein, würde sich Otto niemals geben.
Sollte er ihr doch seinen Dolch ins Herz stoßen! Wenn sie Dietrich nicht mehr sehen durfte, war ihr das Leben nichts mehr wert.
Aber welches Schicksal würde ihren Geliebten treffen? Würde es zum Bruderkampf auf Leben und Tod kommen? Dietrich wäre dabei eindeutig der Überlegene. Nur, er würde seinen Bruder nicht umbringen, nachdem er ihm schon die Frau weggenommen hatte.
Aber hatte er eine Wahl, wenn er verhindern wollte, dass Otto sie aus Rache tötete?
Hedwig sah keinen Ausweg, sosehr sie auch grübelte.
Bisher hatte Dietrich immer mit viel Geld ein verschwiegenes Wirtshaus ausfindig gemacht, um sie heimlich treffen zu können. Aber diesmal waren so viele Fürsten mit ihrem Gefolge zum Hoftag gekommen, dass ihm das trotz aller Mühe nicht gelungen war.
Ob sie sich für diese Nacht wenigstens noch einmal in jener kleinen, verborgenen Kammer verabreden konnten? Sie kannte sich in der Gelnhausener Kaiserpfalz nicht gut genug aus, um zu wissen, wo sie ungestört waren. Ganz abgesehen von der Schwierigkeit, die vielen Hofdamen abzuwimmeln, die sie auf Schritt und Tritt begleiteten und mit ihr in einem Raum schliefen.
Während Hedwigs Denken immer wieder um diesen einen Punkt kreiste, versuchte Otto, einen Gedanken aus seinem dröhnenden Hinterkopf hervorzulocken, der dort lauerte. Irgendetwas Wichtiges. Etwas, das sein Schwager gestern Abend gesagt hatte.
Mit angewiderter Miene schob er das nächste ekelhafte Gebräu beiseite, das ihm Christians Weib aufdrängen wollte, und griff nach einem Becher mit schwerem Rotwein. Schon die Bewegung schmerzte ihn dermaßen, dass er nach einem kräftigen Zug doch reuevoll nach der Medizin griff. Dabei blieb sein Blick an Marthe hängen, und schlagartig fiel ihm ein, wonach er die ganze Zeit gegrübelt hatte.
»Holt sofort den Christiansdorfer Burgvogt und den Kommandanten meiner Leibwache!«, befahl er.
Fast gleichzeitig kamen die beiden Gerufenen.
Marthe hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht, als Ekkehart neben Christian auftauchte und sofort seinen Blick an ihr festhakte, nachdem er den Markgrafen begrüßt hatte.
»Christian, was hattet Ihr mir vor Jahren erzählt über diese Salzfuhrleute, die das Silber entdeckt hatten? Kamen die nicht ursprünglich aus Goslar?«
»So ist es, Herr«, antwortete Christian verwundert. »Doch sie suchten dann lieber bei der Salzpfännerschaft von Halle um Arbeit nach, weil der Löwe gedroht hatte, die Goslarschen Bergwerke eher zu zerstören, als sie dem Gegner zu überlassen.«
»Genau!«, entfuhr es Otto, der im nächsten Moment zusammenzuckte, denn sein eigener lauter Ausruf hatte eine neuerliche Welle des Schmerzes in seinem malträtierten Schädel ausgelöst. Wenigstens überlagerte dieser vorübergehend den Dauerschmerz seiner gichtigen Glieder.
»Ekkehart, Christian, lasst uns nachdenken«, sagte er gedämpft, nun gewarnt, welche Missempfindungen zu laute Töne derzeit bei ihm auslösten.
»Noch diesen Monat läuft der Waffenstillstand ab. Und wir sind uns doch einig, dass der Löwe dann umgehend gen Goslar marschieren wird?«
Von seinen Rittern kam kein Widerspruch.
»Und dass Bernhard und Ludwig nicht das Zeug haben, sein gewaltiges Heer aufzuhalten?«
Auch hierfür erntete er die Zustimmung der beiden Männer, die es mieden, einander anzuschauen. Christian, weil er Ekkehart zutiefst misstraute, und Ekkehart, um seinen Hass nicht zu verraten. So lange schon wollte er Christians Tod, damit Marthe endlich ihm gehörte. Doch der Verhasste schien neun Leben wie eine Katze zu haben und hatte bisher jeden Anschlag überstanden. Mittlerweile gab es bereits Gerede unter seinen Leuten, dass verflucht und dem Untergang geweiht sei, wer die Hand gegen Christian erhob. Doch nun würde er die Sache persönlich übernehmen. Dieser Krieg sollte ausreichend Gelegenheit dazu bieten. Nach der Schlacht würde niemand mehr feststellen können, wessen
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