Die Entscheidung der Hebamme
Meißen beschützen sollten, nicht, wie von Otto vorgeschlagen, verborgen vor Goslar zu warten, bis Heinrichs Truppen möglicherweise die Gruben und Hütten am Rammelsberg zerstörten. Wenn er schon mit seiner kleinen Schar Bewaffneter dort war, wo der erste Angriff des Löwen erwartet wurde, konnte er sich auch gleich den Verteidigern Goslars anschließen.
David und Georg, die beiden jungen Knappen, hatte er in Lukas’ Obhut gelassen. Nicht, weil er befürchtete, sie könnten beim Angriff auf die Kaiserstadt in Gefahr geraten, sondern weil das Gefährlichste an dieser Mission voraussichtlich der Marsch mit den neuen Siedlern durch Kriegsgebiet war. Falls sie dabei auf versprengte Gegner oder gar eine starke militärische Einheit treffen sollten, würden diese nicht nach den Ehrenregeln der Ritterschaft kämpfen und die Knappen verschonen, sondern den kleinen Trupp einfach niedermachen, sofern sie es vermochten.
Dietrich allerdings war auf Ottos Befehl hin bei ihm. Aber im Gegensatz zu den jungen Knappen war Dietrich mit seinen nunmehr achtzehn Jahren weit genug, um im Fall eines Angriffs mit dem Schwert in der Hand seinen Mann zu stehen.
Als sich Christian und sein Gefolge der mit starken Mauern und Türmen befestigten Kaiserstadt Goslar näherten, waren die Kriegsvorbereitungen schon von weitem unverkennbar. Auf dem Weg zur Stadt überholten sie schwerbeladene Karren, mit denen Proviant herangefahren wurde, um die Stadt im Fall einer Belagerung zu versorgen.
Auf den Wehrgängen der starken Stadtmauern und Türme, um die er Goslar bei jedem seiner Besuche beneidet hatte, sah er schon von weitem Männer patrouillieren. Handwerker besserten Mauerwerk aus, wo es beschädigt war. Und noch bevor sie das dicke Steintor passierten, das ihnen Einlass in die Stadt gewährte, stieg ihm und seinen Männern einer der Gerüche in die Nase, der am meisten charakteristisch für eine anstehende Belagerung war: der würzige Duft von erhitztem Pech, das bei einem Ansturm der Feinde als siedend heiße Flüssigkeit auf die Angreifer gegossen werden konnte.
Trotz des Gewimmels erregte ihre Ankunft Aufmerksamkeit. Am Tor erwartete sie eine doppelte Anzahl Wachen mit gezogenen Waffen.
»Wer seid Ihr und was führt Euch hierher?«, fragte mit schlecht gespielter Forschheit ein übermüdeter, nervöser junger Mann, der anscheinend den Befehl erhalten hatte, dieses Tor zu sichern.
Durch irgendetwas erinnerte er Christian an Hoyer, den Kölner, der ihnen mit Philipps Brabanzonenführer entgegengeritten war. Liegt es daran, dass ich älter werde, wenn mir diese jungen Ritter fast wie Kinder vorkommen?, dachte er für einen Moment. Aber es war nur normal, dass überwiegend Junge vorgeschickt wurden. Nicht jeder hatte das Glück wie er, nach so vielen bestandenen Kämpfen noch am Leben zu sein. Für einen Ritter waren seine sechsunddreißig Lebensjahre schon ein beträchtliches Alter.
»Christian von Christiansdorf, Ritter im Dienste des Meißner Markgrafen Otto von Wettin«, stellte er sich vor. »Mein Fürst schickt mich und meine Männer, damit wir uns den Truppen seines Schwagers Bernhard von Anhalt anschließen, des neuen Herzogs von Sachsen, um Goslar zu verteidigen.«
Die Reaktion des nervösen jungen Ritters verriet ihm, dass die Goslarer wie erwartet über die Gelnhausener Ereignisse und die anrückende Verstärkung bereits im Bilde waren.
Christian konnte das Misstrauen seines Gegenübers nur zu gut verstehen. Ein Dutzend Männer mochten bei der Verteidigung der Stadt nicht ins Gewicht fallen. Wer aber sagte, dass die Fremden nicht vom Gegner geschickt wurden und nur darauf warteten, den Truppen des Löwen heimlich die Stadttore zu öffnen? Es war viel aussichtsreicher, eine stark befestigte Burg oder Stadt durch Verrat einzunehmen, als sie durch eine wochen- oder gar monatelange Belagerung auszuhungern.
Der junge Befehlshaber kniff misstrauisch die Augen zu einem Spalt zusammen, während er ihn musterte, dann befahl er forsch: »Begleitet mich mit Euren Männern zum Kommandanten der Stadt!«
»Euer Name?«, erkundigte sich Christian mit höflichem Interesse, in das eine winzige Spur von Spott gemischt war. Wahrscheinlich stand der junge Mann, der so nervös an den Fingernägeln riss, vor seinem ersten gefährlichen Kampf und hatte vor lauter Aufregung die Regeln guten Benehmens vergessen.
»Roland von Maienau, Ritter im Dienst des Kaisers«, beeilte sich der andere zu erklären, sichtlich verlegen angesichts seines
Weitere Kostenlose Bücher