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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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sah er dichte Rauchwolken vom Rammelsberg aufsteigen, und die Erfahrung sagte ihm, dass diese dunklen Fahnen nicht aus normal arbeitenden Schmelzöfen kamen.
    Auch Rolands Gesicht verfinsterte sich bei dem Anblick.
     
    Nachdem Kundschafter bestätigt hatten, dass das feindliche Heer vom Rammelsberg abgezogen war, bot Christian an, die geflüchteten Bergleute mit seinen Bewaffneten dorthin zu begleiten.
    Sie hatten die Stadt bisher noch nicht verlassen können, weil auf Befehl des Kommandanten die Tore erst am nächsten Morgen wieder geöffnet werden sollten.
    Dietrich meldete sich bei ihm zurück. Seiner in scheinbar unbeobachteten Momenten verträumten Miene nach musste ihm wirklich eine Goslarerin ihren Dank auf ganz spezielle Art erwiesen haben. Christian gönnte dem Achtzehnjährigen die schöne Erinnerung. Denn bald – wahrscheinlich noch diesen Vormittag – würden sie eines der besonders hässlichen Gesichter des Krieges zu sehen bekommen.
    Die aus der Bergmannssiedlung Geflüchteten warteten bereits seit dem Morgengrauen darauf, dass die Tore wieder geöffnet wurden und sie zu dem zurückkehren konnten, was von ihren Häusern noch übrig sein mochte. Mit mulmigem Gefühl sah Christian auf die Menschen vor sich, die beteten und sich mit von Sorgen zerfurchten oder verzweifelten Mienen gegen das zu wappnen versuchten, was sie erwartete.
    Er hielt Ausschau nach der respekteinflößenden Witwe, mit der er ein paar Tage zuvor gesprochen hatte, und ließ sie zu sich rufen.
    »Sorge dafür, dass sie nicht jeder für sich loslaufen, wenn das Tor geöffnet wird«, bat er sie mit ernster Miene. »Meine Männer werden euch beschützen, falls dort noch Feinde lauern. Aber dafür müsst ihr zusammenbleiben.«
    Christian schloss nicht aus, dass Heinrichs Truppen nicht nur Befehl hatten, die Häuser und Gruben der Goslarer Bergleute zu zerstören, sondern auch noch so viele wie möglich von ihnen totzuschlagen, um den Harzer Bergbau zum Erliegen zu bringen.
    Die Witwe verneigte sich dankbar vor ihm und ging, um seine Botschaft weiterzutragen.
    Es wurde ein trauriger Zug bis zum Rammelsberg. Je mehr sie sich der Bergmannssiedlung näherten, um so durchdringender wurde der unheilkündende Brandgeruch. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, löste der Anblick, der sie dort erwartete, entsetzte Schreie, Wehklagen und Tränen aus.
    Christian verharrte wortlos und mit regloser Miene auf seinem Rappen. Ein Blick auf Dietrichs von Abscheu gezeichnete Gesicht sagte ihm, dass auch dieser die Szenerie nicht so bald vergessen würde, die sich ihnen darbot.
    Fast alle Häuser in der Siedlung der Bergleute, die Christian vor Jahren selbst besucht hatte, um Männer abzuwerben, waren niedergebrannt. Aus manchen Ruinen kräuselten sich noch dünne Rauchfäden, von anderen waren nur noch geschwärzte Balken übrig.
    Sie sahen verkohlte Tierkadaver, neben einem Brunnen lagen ein alter Mann und eine alte Frau erschlagen und verstümmelt, vielleicht Eheleute, die ihr Haus nicht verlassen wollten oder schlichtweg vergessen worden waren.
    Sämtliche Schmelzhütten waren zerstört, die wertvollen Gerätschaften der Hüttenleute zertrümmert, verbrannt, unbrauchbar gemacht.
    Während die Menschen wehklagend in den Überresten ihrer Häuser nach dem suchten, was sie vergraben hatten, um es zu bewahren, und was nach dem Feuer noch irgendwie zu gebrauchen war, verharrte er immer noch und wartete auf die letzte unheilvolle Nachricht, die das Ende für viele der verzweifelten Menschen bedeuten würde, die sich bis gestern noch durch den Bergbau ihr täglich Brot erworben hatten, so wie ihre Väter und Vorväter.
    Er musste nicht lange warten, auch wenn ihm die Zeit angesichts des Elends um ihn herum lange vorkam.
    Bald näherte sich eine Gruppe Männer der zerstörten Siedlung, mit finsteren Mienen, manche mit geballten Fäusten.
    Als die anderen sie bemerkten, hielten die meisten mit dem inne, was sie gerade taten, und richteten ihre Blicke mit einer Mischung aus Verzweiflung und letzter Hoffnung auf die Nahenden.
    Ein Mann in deutlich besserer Kleidung als seine Begleiter ergriff das Wort, doch er musste sich erst mehrmals räuspern, bis er – sichtlich erschüttert – sprechen konnte.
    »Sie haben Feuer in den Gruben gelegt«, sagte er mit gebrochener Stimme. »Ohne Grubenstöcke sind die Stollen zusammengebrochen. Sämtliche Holzvorräte sind dahin.«
    Seine Worte lösten dumpfes Stöhnen und Wehklagen aus. Manche Menschen schrien auf, andere

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