Die Entscheidung der Hebamme
Männer auf den brennenden Rammbock zurannten und ihre Waffenröcke hochschlugen.
»Sie löschen das Feuer mit Pisse?!«, fragte er so ungläubig, dass sich Christian ein belustigtes Grinsen nicht verkneifen konnte.
»Na, dann wollen wir den Hurensöhnen mal die Schwänze richtig heiß machen«, tönte die dicke Krämerin, die längst selbst den durchdringenden Geruch nach Rauch und Pech an ihren Kleidern hatte. Ohne zu zögern, tauchte sie einen Eimer in das siedende Pech und schleuderte ihn dann mitsamt seinem gefährlichen Inhalt über die Mauer. Schrille Schreie von unten zeigten, dass sie gut gezielt hatte.
»Mit besten Grüßen von Goslars Frauen!«, brüllte sie schadenfroh, während die Männer auf dem Turm schallend lachten.
Wütend reckte die Krämerin eine Faust in die Höhe, doch Christian zog sie weg von der Brüstung. Zu schade, wenn die Couragierte von einem Rachepfeil getroffen würde.
Für den Rest des Tages gab es zwar immer noch jede Menge Hin und Her und gebrüllte Kommandos im Lager der welfischen Streitmacht, aber keine weiteren Angriffe.
Auch die nächste Nacht verging ohne Attacke.
»Was werden sie tun?«, fragte Dietrich, während er gemeinsam mit Roland und Christian Hirsebrei löffelte, den ihnen ein paar Bürgersfrauen gebracht hatten, die auf diese Art die Verteidiger ihrer Stadt unterstützen wollten.
»Wie es aussieht, beraten sie sich noch mit ihren Kumpanen, die vor den anderen Stadttoren lauern. Vielleicht warten sie auch auf Order vom Löwen persönlich«, erklärte Christian seinem Schützling. »Er wird wohl seine Truppen abziehen, wenn sich die Stadt nicht im Handstreich nehmen lässt. Heinrich hat keine Zeit für eine lange Belagerung. Es sind zu viele Orte, an denen er gleichzeitig kämpfen muss.«
»Gut möglich«, meinte auch Roland voller Hoffnung. »Niemand weiß besser als der Löwe, wie stark Goslar befestigt ist – praktisch uneinnehmbar.«
Keine Stadt ist uneinnehmbar, dachte Christian. Wer es darauf anlegt, findet immer einen Verräter, der ihm heimlich ein Tor öffnet. Doch er sprach es nicht aus.
Ihre Hoffnungen wurden erfüllt: Am dritten Tag der Belagerung zogen die Gegner plötzlich ab. Nicht nur von ihrem Tor, sondern auch von allen anderen, wie Boten meldeten. Roland, seine Bogenschützen und auch die Goslarer Bürger, die seine Mannschaft verstärkt hatten, brachen in lauten Jubel aus.
»Schert euch zur Hölle, ihr schwarzgeschwänzten Bastarde!«, brüllte die dicke Krämerin zur enormen Belustigung der Männer auf dem Turm.
Christian erwiderte Rolands erleichtertes Schulterklopfen. Der Jüngere hatte seine erste Bewährungsprobe bestanden, ohne dass es zum Kampf Mann gegen Mann und zu einem großen Gemetzel gekommen war.
Als die Feinde abgezogen waren, gab Roland der Hälfte seiner Männer bis zum Abend frei. Mehr wollte er nicht entbehren – der Abmarsch konnte auch nur vorgetäuscht und eine List sein.
»Geht nur mit ihnen, wenn es Euer Ritter erlaubt«, forderte er Dietrich auf. »Feiert mit den Goslarern!«
»Die Frauen werden sich den kühnen Verteidigern der Stadt dankbar erweisen«, meinte die stämmige Krämerin lachend und zwinkerte Ottos Sohn zu.
»Ich hoffe, er findet eine Jüngere als dich, Elsa«, erwiderte Roland mit einem flegelhaften Grinsen.
»Jünger vielleicht, aber bestimmt nicht so feurig«, erklärte einer von Rolands Männern doppeldeutig, was die anderen erneut zum Lachen brachte.
»Eben, eben«, lästerte einer der Bogenschützen. »Sucht Euch lieber eine andere, junger Herr!«
Unter weiteren Anzüglichkeiten und lärmender Fröhlichkeit stiegen die vorerst Entlassenen den Turm hinab; Dietrich mit ihnen, der von Christian die Erlaubnis dazu bekommen hatte.
Sein Onkel wird jetzt ohnehin keine Zeit für ihn haben; er ist alt genug, um auf sich aufzupassen, und warum soll er nicht ein bisschen mitfeiern?, dachte Christian. Wenn ihm eine Frau anbot, ihn in ihr Bett zu nehmen – ganz gleich, ob Hure, Magd oder junge Witwe –, warum nicht? In den nächsten Wochen würde voraussichtlich keine Gelegenheit mehr dazu sein, falls eintrat, was er befürchtete.
»Wollt Ihr nicht auch in die Stadt, den Sieg feiern?«, fragte Roland, der selbst keine Anstalten machte, den Turm zu verlassen.
»Nein; mir geht es wie Euch«, antwortete er. »Ich befürchte, es ist noch nicht ganz vorbei.« Mit einer leichten Kopfbewegung wies er Richtung Rammelsberg.
Christians Ahnungen wurden noch vor Ablauf des Tages wahr. Bald
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