Die Entscheidung der Hebamme
dem Meißner Burgberg erzogen wurden und im Halbkreis um Marthe unter freiem Himmel auf einer Lichtung saßen.
Es war die Idee der Markgräfin gewesen, dass sie auf dem Rückweg von Gelnhausen den Mädchen zwischen zehn und fünfzehn Jahren etwas darüber beibrachte, wie sie künftig als Ehefrauen bei ihren Männern und Kindern diverse Beschwerden lindern konnten. Jede Rast wurde nun dafür genutzt, sofern sich Marthe nicht um Otto oder einen anderen ernsthaft Leidenden zu kümmern hatte.
»Aal ist überhaupt unübertroffen als Heilmittel. Verrenkte Glieder kann man heilen, wenn man Aalhaut darum bindet«, fügte eine zweite an, Lukas’ eifrige Verehrerin Adela, eine hübsche Blonde mit großen runden Augen und einer keck himmelwärts strebenden Nase. »Wogegen Aalfett gut ist gegen …« – sie senkte die Stimme und blickte verlegen nach links und rechts, ob kein Mann sie hören konnte, ehe sie weitersprach –, »… gegen diese schmerzenden Beulen an einer gewissen unaussprechlichen Stelle, die man vom zu langen Reiten bekommt …«
Die anderen Mädchen prusteten und kicherten los, und Marthe verdrehte entnervt die Augen.
Um sie herum wurden mit großer Geschäftigkeit die Vorbereitungen für das Mahl getroffen. Ottos magerer Küchenmeister befehligte wie üblich unzählige Helfer, die auch unterwegs dafür zu sorgen hatten, dass der Markgraf und seine Begleiter angemessen verköstigt wurden; Mägde bauten die Tafeln auf, indem sie Holzplatten auf Schragen hievten.
Beinahe zweihundert Menschen zählte die Kolonne, mit der Otto zum Hoftag gereist war: Ritter, Hofdamen, Geistliche, Reisige als Geleitschutz, die Dienerschaft und der Küchenmeister mit seinen Gehilfen. Mit weniger Gefolgschaft zu einem Hoftag zu reisen, wäre nicht standesgemäß für einen Markgrafen gewesen.
Am Morgen waren sie von einem Kloster aus aufgebrochen, das sie eine Nacht beherbergt hatte, und da sie vor der Dämmerung nicht die Burg eines Adligen erreichen würden, bei dem Otto gastliche Aufnahme erwartete, und der Mai mit ausgesprochen mildem Wetter begonnen hatte, waren die bunten Zelte für den reisenden Meißner Hofstaat auf einer anheimelnden Lichtung errichtet worden.
Die Bäume trugen schon frisches, helles Grün, die Bienen summten, Vögel sangen um die Wette. Ein paar Schritte entfernt sprang gerade eine der Hofdamen auf, weil Ameisen über ihren Rock krochen. In dieser friedlichen Umgebung – den unterdrückten Schrei der Hofdame ausgenommen – fühlte sich Marthe umso mehr befremdet durch das Gekicher der in vielerlei Hinsicht völlig ahnungslosen jungen Mädchen.
Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie je so albern gewesen wäre. Aber sie war auch nicht behütet wie diese Mädchen aufgewachsen, sondern musste schon von frühester Kindheit an Tag für Tag ums Überleben kämpfen: mit vier Jahren verwaist, dann aufgezogen von einer weisen Frau, die von den argwöhnischen Dörflern selbst jederzeit wegen eines Fehlers verjagt oder erschlagen werden konnte, als Dreizehnjährige von einem grausamen Burgherrn mit der Drohung zur Flucht getrieben, er würde ihr Hände und Füße abschlagen, wenig später geschändet und zur Hochzeit mit einem alten Witwer gezwungen – nein, ihre Kindheit und Jugend waren mit den Erlebnissen der kichernden Mädchen vor ihr nicht zu vergleichen. Sie konnte nur hoffen, dass ihren Zuhörerinnen ähnlich Schlimmes erspart blieb. Doch dafür sollten sie besser zuhören! Hedwig wusste schon, weshalb sie darauf bestand, dass die ihr anvertrauten Mädchen lernten, bei den künftigen Ehemännern die Folgen maßlosen Trinkens zu mildern.
»Ich möchte Euren wohledlen Müttern nicht zu nahe treten, Jungfrau Lucardis und Jungfrau Adela«, begann Marthe deshalb vorsichtig. »Doch ich habe noch von keinem Mann gehört, dessen Leiden durch Aalblut, Aalhaut oder sonstige Teile des Aals gelindert worden wären.« Sie sah, dass die beiden Angesprochenen schnippisch die Lippen verzogen, auch wenn sie nicht zu widersprechen wagten.
»Und Ihr braucht mir jetzt auch nicht mit Aalköpfen gegen Warzen kommen, Adela! Das ist Aberglauben. Wenn Ihr nicht wollt, dass eines Tages einmal Euer künftiger Gemahl seine schlechte Laune über Kopfschmerz nach einem Gelage an Euch und Euren Kindern auslässt, hört Ihr mir besser zu! Also, Melisse, Lavendel …«
Wenig später beendete sie die Lektion für diesen Tag, denn das Mahl unter freiem Himmel sollte beginnen.
Marthe hielt Ausschau nach Lukas, den
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