Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
Vom Netzwerk:
er, um sich im nächsten Augenblick beklommen daran zu erinnern, dass das Mädchen, das er immer noch nicht ganz aus seinem Herzen verbannen konnte, obwohl er sich nach Christians Weisung von ihr fernhielt, vielleicht schon in ein paar Tagen heiraten würde, noch dazu einen Krüppel.
    Die Dämmerung brach schnell herein, und die Heranrückenden entzündeten immer mehr Fackeln, so dass der Heerzug bald einem glühenden Riesenwurm glich, der immer näher kroch. Nun waren das Stampfen der Füße und Hufe und die Schreie der Befehlshaber zu hören.
    Roland hatte ein Dutzend Bogenschützen neben sich postiert. Doch noch ehe die gegnerische Armee auf Schussweite herangekommen war, ließen ihre Anführer haltmachen und lagern.
    Christian und Roland errieten ohne Mühe, weshalb.
    Heinrichs Befehlshaber konnten sehen, dass ihnen kein Überraschungsangriff gelingen würde, sondern dass sie erwartet wurden. Deshalb war es sinnvoller, die Männer nach dem anstrengenden Gewaltmarsch ruhen zu lassen, statt sie gleich in den Kampf zu schicken, und ein paar Späher auszusenden, die die Lage rund um die Stadt erkundeten. Der Löwe hatte viele Jahre über Goslar geherrscht, er kannte die Stärke der städtischen Befestigungen nur zu gut.
    Dennoch war nicht auszuschließen, dass seine Männer einen nächtlichen Angriff wagten.
    Christian überzeugte sich, dass Dietrich in Deckung war, und richtete sich auf eine lange, hoffentlich ereignislose Nacht ein.
    Den ganzen Tag über waren immer mehr Wolken aufgezogen. Wenn wir Glück haben, regnet es, dachte er. Die größte Gefahr bei einem Angriff waren Brandpfeile, die die stroh- oder schindelgedeckten Dächer der dicht an dicht beieinanderstehenden Häuser entflammten. Dann konnte die ummauerte Stadt zur tödlichen Falle für die Eingeschlossenen werden.
    Er starrte aufmerksam hinab in die Dunkelheit. Die feindlichen Truppen teilten sich plötzlich wie das Rote Meer vor Moses, etwas wurde hindurchgewuchtet oder geschoben. Jetzt erkannte er es im Fackelschein: ein Rammbock, den die Angreifer noch in einigem Abstand vor dem Tor in Stellung brachten. Er warf einen Blick auf Roland, doch der zeigte sich weiterhin gelassen.
    Noch war kein einziger Schuss gefallen.
    »Gott schütze Euch, Christian. Euch und Eure Männer«, sagte Roland.
    »Euch ebenso.«
    Ein Bote brachte Nachricht von den anderen Toren. Auch dort waren inzwischen feindliche Truppen in Stellung gegangen, aber noch nirgendwo war der Kampf eröffnet.
    »Sie beraten, wie sie vorgehen, da es ihnen nicht gelungen ist, die Stadt zu überrumpeln«, erklärte Christian Dietrich, der nicht von seiner Seite wich.
    Roland nickte. »Sie können jeden Moment den Befehl zum Angriff geben.«
    Erst im Morgengrauen kam Bewegung in das Heer der Belagerer. Mit laut gebrüllten Befehlen wurden ein paar Dutzend Männer angetrieben, den Rammbock näher ans Tor zu schieben.
    Roland rief seine Bogenschützen zu sich.
    Salve um Salve wurde auf die Angreifer abgeschossen, die sich Schilde über die gebeugten Rücken gehängt hatten. Nur wenige Schüsse richteten Schaden an, und wo ein Mann fiel, wurde er sofort durch einen neuen ersetzt. Zugleich gaben die Angreifer ihren Leuten Deckung und sandten ihrerseits Pfeile auf die Goslarer Bogenschützen. Christian sah einen Mann mit durchbohrtem Hals zu Boden gehen, ein weiterer schrie auf, als ihm ein Pfeil in den Arm fuhr.
    Roland ließ die Getroffenen sofort ersetzen und gab Befehl, die Kessel an den Pechnasen zu plazieren.
    Die stämmige Krämerin – eine Witwe, die das Geschäft ihres Mannes entschlossen weiterführte, wie Christian erfuhr – hatte bereitwillig die Aufgabe übernommen, das Feuer am Brennen zu halten, damit stets flüssiges Pech zur Verfügung stand.
    Als die Männer mit dem Rammbock nahe genug waren, gab Roland das Zeichen, und ein Kessel voll siedend heißes Pech ergoss sich über die Köpfe und Schultern der Angreifer. Schmerzensschreie kündeten davon, dass die gefährliche Ladung wirkungsvoll plaziert war. Männer rannten davon, einige blieben reglos oder in wilden Zuckungen neben dem Rammbock liegen, und auf einmal stand das Belagerungsgerät verlassen vor dem Tor.
    Roland winkte seinen besten Schützen heran und befahl ihm, die pechübergossene hölzerne Ramme mit Brandpfeilen zu beschießen. Bald begann der dicke Pfahl zu brennen. Seine Männer jubelten.
    Wieder wurden im gegnerischen Lager lauthals Befehle gebrüllt, und zu seiner Verwunderung sah Dietrich, dass ein paar

Weitere Kostenlose Bücher