Die Entscheidung der Hebamme
vollbeladenen Karren. Die Marketenderin, von der Marthe gehofft hatte, dass sie im Dorf bleiben würde, hatte beschlossen, ihr früheres Gewerbe wiederaufzunehmen und die Männer in den Krieg zu begleiten. Marthe hatte sie nicht davon abbringen können.
»Meinst du nicht, dass du auf deine alten Tage hier sicherer bist?«, hatte sie die lebenserfahrene Magdeburgerin gefragt. »Du wirst hier immer ein Auskommen haben, ich versprech’s! Hilf mir und Johanna, die Kranken zu behandeln, und es wird dir an nichts mangeln. Wenn du willst, lasse ich dir eine eigene Hütte bauen, du bekommst auch ein Gärtchen und ein paar Gänse dazu.«
Doch Grete hatte sie nur mit ihren klugen, alten Augen gemustert.
»Ich weiß, Ihr meint es ehrlich, junge Herrin«, hatte sie geseufzt und dann Marthe scharf angeblickt.
»Ich habe mich in den vergangenen Wochen im Dorf gründlich umgesehen und umgehört«, sagte sie und senkte die Stimme. »Selbst inmitten des Krieges bin ich sicherer denn eine weise Frau hier an diesem Ort, unter den Augen dieses Pater Sebastian. Hütet Euch vor ihm! Er will Euch immer noch übel.«
Marthe konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. Die Erinnerung an das Verhör vor dem Kirchengericht, die Folter und ihren Todeskampf in den Fluten der Elbe war plötzlich wieder übermächtig. Sie musste schlucken, obwohl ihr Mund mit einem Mal ganz trocken war, und schloss für einen Moment die Augen.
»Seht Euch vor!«, raunte die alte Grete mit ihrer heiseren Stimme. »Gott möge Euch schützen!«
»Dich ebenso«, sagte Marthe, als sie ihre Sprache endlich wiedergefunden hatte.
»Macht Euch um mich keine Sorgen«, hatte die Alte mit verschmitztem Lächeln gesagt. »Ich komme schon zurecht. Und nebenbei werde ich ein Auge auf den jungen Grafen Dietrich und den Herrn Lukas haben, wenn Euch das beruhigt.«
Das beruhigte Marthe tatsächlich sehr.
Das Gesinde und der Rest der Burgbesatzung hatten sich auf dem Hof aufgestellt, um die Reisenden zu verabschieden.
Plötzlich kam Unruhe in die Reihen; Clara zwängte sich hindurch, rannte zu Dietrich und stellte sich neben seinem Pferd auf, bis er zu ihr sah.
»Werdet Ihr mich auch nicht vergessen, wenn Ihr erst ein Ritter seid?«, fragte sie mit ihrer hellen Stimme und ließ kein Auge von ihm.
Dietrich hatte Mühe, seine Verblüffung über ihre Worte zu verbergen. Sicher, nach der Schwertleite und dem Feldzug würde er nicht nach Christiansdorf zurückkehren, sondern vermutlich am Hof seines Vaters leben. Doch für Marthes kleine Tochter hatte er bisher kaum Augen gehabt.
»Natürlich nicht«, erwiderte er lächelnd.
Die Achtjährige verzog keine Miene, sondern sah ihn prüfend an. Dann streckte sie ihm ein kleines Bündel Beifuß entgegen. »Das ist für Euch. Es schützt Reisende. Ich habe es zusätzlich noch von Pater Hilbert mit Weihwasser besprengen lassen.«
Gleichermaßen verblüfft und gerührt, nahm er die Stengel entgegen und verstaute sie sorgfältig in seinem Gepäck.
»Ich danke dir«, sagte er dann mit großer Ernsthaftigkeit, um das Mädchen nicht zu enttäuschen.
»Gott schütze Euch.« Noch ehe Dietrich oder ihre Eltern etwas sagen konnten, war Clara fortgehuscht.
Marthe und Christian tauschten einen verwunderten Blick, dann gab Christian das Zeichen zum Aufbruch.
Während sich Marthes Zelter in Bewegung setzte, drehte sie sich noch einmal um und schaute zurück.
Raina sandte Lukas ein wehmütiges Lächeln, Adela blickte ihrem Mann und ihrem Bruder mit verkniffener Miene nach. Marie war neben Bertram getreten, um verstohlen nach seiner Hand zu greifen und an seiner Seite den Abreisenden nachzuwinken. Christian hatte beschlossen, die Männer von Marthes Stieftöchtern diesmal nicht wieder in den Krieg zu schicken, und keine Diskussion darüber zugelassen.
Aus dem Augenwinkel sah Marthe, dass Dietrich seinen Blick ebenfalls auf Marie richtete und dabei seine Gesichtszüge zu beherrschen versuchte. Doch es war nicht zu verkennen, dass ihm der Anblick des glücklichen Paares, das dort Hand in Hand stand, einen Stich versetzte.
Wie geplant, erreichten die Christiansdorfer als Erste von allen erwarteten Gästen das Marienkloster, das vor fünf Jahren geweiht worden war. Zisterzienser hatten es erbaut und lebten und arbeiteten nun dort. Dem Abt fühlte sich Christian verbunden. So verschieden sie auch sein mochten, eine wichtige Gemeinsamkeit machte sie zu Gleichgesinnten: Sie beide hatten es sich zur Aufgabe gemacht, mitten im Dunkelwald zu
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