Die Entscheidung der Hebamme
roden und Land zu erschließen, ungeachtet aller Mühen und Hindernisse.
Abt Peter war ein dürrer Greis, dem bei seinem Anblick niemand zutrauen würde, welch gewaltige Aufgabe er trotz seines Alters noch einmal auf sich genommen hatte. Vom Kloster Pforta bei Naumburg aus war er mit elf Mitbrüdern, Werkzeug, einer Bibel und mehreren anderen wertvollen Büchern, ein paar Kerzen und Weihwasser aufgebrochen, um im Auftrag des Meißner Markgrafen zu Ehren Gottes ein neues Kloster zu gründen.
Dreizehn mühevolle Jahre hatte es gedauert, bis das der Heiligen Jungfrau gewidmete Kloster geweiht werden und seine eigentliche Arbeit aufnehmen konnte. Christian hatte oft genug miterlebt, wie der Geistliche selbst angepackt hatte, um zu roden, Bretter für die Mühle zu sägen oder Obstbäume in den Klostergarten zu pflanzen.
Längst halfen Konversen den Mönchen, die Felder zu bebauen, Häute zu gerben und zu Pergament zu verarbeiten, das Korn zu mahlen oder die Gebäude instand zu halten.
Doch der dürre Abt konnte es nicht lassen, trotz seiner vielen Pflichten immer noch regelmäßig nach Axt, Spaten oder Sichel zu greifen. »Ora et labora – bete und arbeite, so will es der heilige Benedikt, nach dessen Regeln wir leben«, wurde er nicht müde zu betonen.
Jetzt ging er der Reisegesellschaft entgegen und begrüßte sie außerhalb des innersten Klosterbezirkes, zu dem Frauen keinen Zutritt hatten.
Die Zisterzienser lebten nach strengeren Regeln als die meisten anderen Orden. Sie wurden nicht nur zu harter körperlicher Arbeit angehalten, sondern ihre Klöster waren im Gegensatz zu anderen auffallend schlicht. Es gab weder Glocken noch Türme, weder Bilder an den Wänden noch irgendwelchen Prunk.
Warmherzig hieß Peter die Ankömmlinge willkommen.
Auch jetzt war seine Haut sonnengebräunt, was davon kündete, dass der Abt in den letzten Wochen wohl mehr Zeit auf den Feldern und im Garten als im Skriptorium verbracht hatte.
Er erbot sich, Dietrich persönlich die Beichte abzunehmen, bevor dieser, der Tradition entsprechend, die Nacht vor seiner Schwertleite im Gebet verbrachte.
Christian sandte seinem Schützling einen aufmunternden Blick, dann übergab er seinen Rappen einem der Laienbrüder, die herbeigeeilt waren, um den Gästen die Pferde abzunehmen und ihnen Räume in den Gästequartieren zuzuweisen.
So standen Marthe, Christian und Lukas wortlos beieinander, bis Marthe schließlich sagte: »Kommt, gehen wir ein paar Schritte bis zum Bach! Wer weiß, wann wir das nächste Mal einen Moment erleben, in dem keine Pflichten auf uns warten.«
Zumal, wie sie dachte, niemand wissen konnte, ob und wann Lukas aus dem Krieg wiederkommen würde.
Christian nickte zustimmend und reichte ihr seinen Arm.
Lukas überlegte, ob er nicht besser unter einem Vorwand verschwinden sollte. Falls dieses Gespräch auf seine Hochzeit hinauslaufen würde, so hatte er nicht das geringste Interesse daran. Doch Marthe ließ ihm keine Gelegenheit für Ausflüchte, sondern drückte ihm mit einem auffordernden Lächeln etwas von dem Proviant in die Hand, den sie mitgenommen hatten.
Sie liefen hinunter zum Ufer des Flüsschens.
Die Sonne brannte, das Rauschen des nahen Wassers mischte sich mit dem Knarren der Mühle ein Stück flussaufwärts, ein paar weiße Schmetterlinge flatterten um die leuchtend gelben Blüten in ihrer Nähe.
Christian breitete seinen Umhang aus, damit sich seine Frau daraufsetzen konnte und ihr Kleid keine Grasflecken bekam.
Marthe brach von dem frischen Brot, das Mechthild ihnen mitgegeben hatte, drei Stücke ab, schnitt mit ihrem Essmesser dicke Scheiben vom Schinken und verteilte sie.
Nachdem sie wortlos gegessen hatten, wandte Marthe ihr Gesicht der Sonne zu und genoss mit geschlossenen Augen die warmen Strahlen. Es war ihr gleichgültig, ob sie die bei Edelfrauen erwünschte vornehme Blässe einbüßen würde. Der Tag war einfach zu schön, das Sonnenlicht tat ihrer Seele zu gut nach all den Mühen und Nöten der letzten Wochen.
Mit einem Mal fiel ihr eine skurrile Episode ein, und sie lächelte verstohlen in sich hinein. Bei einem ihrer Aufenthalte an Ottos Hof hatte sie tatsächlich gesehen, wie sich drei der jungen Mädchen den Kopf mit Honig bestrichen hatten und sich dann an einem verborgenen Platz in die Sonne hockten, nur um ihre Haare zum Blond aufzuhellen. Das Gesicht schützten sie mit einer breiten Krempe vor der Sonne, aber natürlich lockte der süße Honig unzählige Insekten an, so dass
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