Die Entscheidung der Hebamme
die drei bald Hals über Kopf in ihre Kammer stürzten, um die klebrige Masse mühsam aus den Haaren zu waschen.
Mit einem Mal überfiel sie eine übergroße Müdigkeit. Am liebsten hätte sie sich einfach sinken lassen, um ein Weilchen zu schlafen. Aber das war natürlich undenkbar. Also blinzelte sie ein paar Mal in die Sonne und öffnete dann mit Mühe die Augen.
Sie spürte, dass Christian sie schon eine ganze Weile angesehen haben musste, und wurde verlegen. Denn an seinem Blick erkannte sie, dass er in Gedanken gerade ihr Kleid abstreifte und ihren Körper liebkoste. Mit einem Mal fühlte auch sie das Begehren, ihn an sich zu ziehen, seine starken Hände auf ihrer Haut zu spüren und ihn voller Leidenschaft zu küssen.
Keine geziemende Vorstellung in der Nähe eines Klosters, rügte sie sich, dennoch konnte sie das Verlangen nur schwer unterdrücken.
Aber da war noch Lukas. Bei der Vorstellung, er könnte ihre Gedanken erraten, fühlte sie ihre Wangen brennen.
Verlegen zupfte sie ihren Schleier zurecht und griff nach dem letzten Kanten Brot. Sie teilte ihn in zwei Hälften und gab jedem der Männer eine.
Lukas drehte unentschlossen das Brot in den Händen, das ihn unweigerlich an Raina erinnerte. Schließlich räusperte er sich, blickte zu Marthe und sagte mit belegter Stimme: »Wirst du ein Auge darauf haben, dass … meine Frau« – diese Formulierung ging ihm wirklich schwer über die Lippen – »Raina nicht das Leben zur Hölle macht?«
»Ich kümmere mich darum«, versprach Marthe ohne Zögern.
Lukas nickte erleichtert, doch sofort wich dieser Gesichtsausdruck einer ihm sonst fremden Missmutigkeit.
Marthe überlegte, wie viel sie sagen durfte, ohne ihn zu kränken. Doch noch bevor sie Gelegenheit hatte, auszusprechen, was ihr durch den Kopf ging, tat es Christian schon.
»Du ziehst morgen in den Krieg«, ermahnte er den jüngeren Freund. »Richte deine Gedanken nach vorn auf den bevorstehenden Kampf und nicht im Groll zurück. Und genieße diesen Augenblick der Ruhe. Es könnte auf lange Zeit der letzte sein.«
Wie zur Bestätigung enthob der Lärm von einer ankommenden größeren Reisegesellschaft Lukas einer Antwort. Rasch standen die drei auf, um Otto und Hedwig zu begrüßen.
Gemeinsam mit dem Meißner Markgrafenpaar war Dietrich von Landsberg gekommen. Ehrerbietig sanken Marthe und Christian auch vor ihm auf die Knie.
Als sie sich wieder erheben durften, musterte Marthe verstohlen die Züge des Landsbergers und erfasste sofort, was in ihm vorging.
Auch Christians Gesicht hatte sich verdüstert. Sie alle dachten an Konrad, Dietrichs einzigen legitimen Erben, der ebenfalls Christians Knappe gewesen und am Tag seiner Schwertleite bei einem Turnier ums Leben gekommen war. Morgen nun würde Dietrich seinem nach ihm benannten Neffen das Schwert als Zeichen des Ritterstandes umgürten, und schon der Gedanke daran musste bittere Erinnerungen in ihm wecken.
Auch Hedwig erriet, was in Dietrich und Christian vorging, die sich trotz der rund fünfzehn Jahre Altersunterschied äußerlich auf frappierende Art ähnelten: beide schlank und dunkelhaarig, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und geschmeidigen Bewegungen.
»Wo ist mein Sohn, Euer Schützling, Christian?«, fragte sie mit ungewohnt sanfter Stimme.
»Er bereitet sich auf die Nacht im Gebet vor. Der Abt hat angeboten, ihm persönlich die Beichte abzunehmen.«
»Dann folgt uns mit Eurer Gemahlin ins Gästehaus, Christian, und lasst uns einen Becher auf das Wohl meiner Söhne und einen erfolgreichen Kriegszug trinken«, verkündete Otto mit seiner lauten Stimme.
Ohne ein weiteres Wort schlossen sich Christian und Marthe dem Zug der engsten Vertrauten an, die Otto zum Marienkloster begleitet hatten. Das Kriegsaufgebot der beiden Markgrafen würde am nächsten Tag zu ihnen stoßen.
Einmal mehr fühlte sich Marthe von Ekkeharts durchdringendem Blick durchbohrt. Dietrich von Landsberg bemerkte den grimmigen Blickwechsel und das Erschrecken der jungen Frau. Er kannte die Geschichte ihrer Feindschaft; er war dabei gewesen, als die vermeintlich verwitwete Marthe vor ein paar Jahren auf Befehl seines Bruders mit Ekkehart vermählt wurde. Nur Christians unerwartete Rückkehr verhinderte im letzten Augenblick den Vollzug dieser Ehe. Da er seit langem Sympathie und Mitgefühl für Marthe empfand, lud er sie und Christian ein, neben ihm an der Tafel Platz zu nehmen, so dass Marthe die direkte Nähe von Ottos Befehlshaber der Wachen
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