Die Entscheidung der Hebamme
schon blieb er nachts ihrem Lager fern. Er war nun fast sechzig Jahre alt, da bedurfte es mehr als eines sittsamen Eheweibes, dem er sich im Grunde seines Herzens unterlegen fühlte, um seine Leidenschaft im Bett zu entfachen. Da bedurfte es der besonderen Dienste einer teuren Hure, die sich für ihr Geld schon abmühen würde, damit er zum Zuge kam, und die dafür Dinge tat, die eine Dame von Stand niemals tun, ja, nicht einmal wissen durfte.
Aber jetzt, da er Hedwig jammernd zu seinen Füßen sah, da fühlte er sich voller Saft und Kraft.
Heute Nacht würde er bei ihr liegen. Schon der Gedanke, dass sie trotz ihres Widerwillens gehorsam die Schenkel für ihn spreizen musste, wenn sie ihrem Lieblingssohn helfen wollte, erfüllte ihn mit Häme. Und heute Nacht würde er nicht als höflicher Gemahl um ihre Gunst bitten; nein, heute sollte sie noch einmal niederknien, während er nackt vor ihr stand.
Immer noch war kein Wort gefallen.
Christian tauschte einen kurzen Blick mit Marthe, die fast ebenso bleich geworden war wie der junge Dietrich.
Sie beide kannten den Jungen von klein auf und wussten, dass es seit jeher sein sehnlichster Wunsch war, ein tapferer Ritter zu werden. Zu den Hoftagen konnten sie seine Fortschritte miterleben – und auch, wie sein zwei Jahre älterer Bruder jede Gelegenheit nutzte, ihm immer wieder auf hinterhältige Art zuzusetzen, weil er in ihm einen Rivalen im Kampf um das Erbe ihres Vaters sah.
Aus dem kränklichen Kind, das Marthe vor zwölf Jahren gesund gepflegt hatte, war ein stattlicher junger Mann geworden, der den nahenden Tag seiner Schwertleite herbeisehnte und schon jetzt vielen Jüngeren ein Vorbild im Umgang mit Schwert und Lanze war. Ihn in einem Kloster einzusperren, um ihn die Zeit mit Beten und Fasten verbringen zu lassen, ohne dass er in den nächsten Jahren etwas von der Welt außerhalb der Klostermauern zu sehen bekam, wäre schlimmer als ein Todesurteil für ihn.
Vergeblich versuchte Marthe, das Bild abzuschütteln, das sich ihr aufdrängte: Dietrich in einer grobgewebten Kutte, eine Tonsur in das Haar geschoren – nein, das würde den Jungen zerstören.
Andere mochten Erfüllung in einem Leben ganz für Gott finden. Und mancher Geistliche von Adel führte ein durchaus weltliches Leben. Wichmann von Magdeburg war das beste Beispiel dafür. Schon seine aufwendige Hofhaltung und seine Leibesfülle kündeten davon. Der Erzbischof ritt sogar an der Spitze seiner Truppen ins Feld, und selbst dass sein Dompropst eine Tochter hatte, kümmerte ihn nicht sonderlich. Doch Dietrich war ein anderes Leben bestimmt.
Entschlossen trat Christian vor und kniete neben Ottos Sohn nieder. Er wusste, dass er wieder einmal dabei war, sich in Schwierigkeiten zu bringen, aber er wusste auch, dass Marthe sein Vorhaben gutheißen würde.
»Mein Fürst und Lehnsherr«, begann er, doch der Markgraf ließ ihn gar nicht erst weiterreden.
»Gebt Euch keine Mühe, Christian! Diesmal werdet Ihr mich mit Euren ungewöhnlichen und hartnäckigen Einwänden nicht umstimmen. Dietrich hat sich sein Schicksal selbst zuzuschreiben.«
»Mit Verlaub, Herr. Er ist für ein Leben im Kloster nicht geschaffen.«
»Das ist mir durchaus bewusst. Es soll schließlich eine Strafe sein!«, brauste Otto auf. »Wohin sollte ich ihn denn jetzt noch stecken nach dieser Schande? Überall, wo er auftaucht, werden die Leute anfangen, zu wispern und zu tuscheln. Sie werden mit Fingern auf uns zeigen.«
»Sollte ein Kloster nicht ein Ort der Erbauung und der Gottessuche sein statt ein Kerker?«, wandte Christian höflich ein. »Bitte, hört mich an! Ich habe einen anderen Vorschlag.«
In Dietrichs Gesicht flackerte ein Funken Hoffnung auf. Verzweifelt richtete er seinen Blick auf Christian und dann wieder auf seinen Vater.
»Ich bin gespannt, mit welcher merkwürdigen Idee Ihr mir diesmal kommen wollt«, grollte Otto. »Es gibt keinen Ausweg. Niemand von Stand wird noch einen Knappen aufnehmen, der wegen seiner Verfehlungen vom Hof des Kaisers verbannt wurde.«
»Schickt ihn zu mir auf die Burg!«, schlug Christian vor. »Dort kann er seine Ausbildung abschließen und zugleich lernen, wie man eine Burg und einen so bedeutenden Ort regiert. Vorausgesetzt« – für einen Augenblick zögerte Christian, denn dies war der einzige Einwand, den er vor sich selbst aussprechen musste –, »Ihr seid bereit, mir Euren Sohn anzuvertrauen.«
Jeder im Raum wusste, worauf der dunkelhaarige Ritter anspielte. Sein
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