Die Entscheidung der Hebamme
Schuldigen auch noch die Erzförderung behinderten, weil sich die Häuer nicht mehr in diesen oder jenen Stollen wagten, war dies beileibe kein simpler Schelmenstreich.
Hermann lächelte in seinen Bart hinein. »Wie sich herausstellte, ist die Geschichte noch verzwickter als gedacht.«
Neugierig sah Christian ihn an, und der Bergmeister zögerte die Aufklärung des Vorfalls nicht länger hinaus.
Einer der Grubeneigner, der mit der Ausbeute unzufrieden war, hatte Tag für Tag Brot und Bier in einen Stollen gebracht – in der Hoffnung, die Berggeister würden sich über die Gabe freuen und ihn dafür mit einem Silberschatz belohnen.
»Leider geschah nicht, was er erhoffte und was immer wieder in den Geschichten aus alten Tagen berichtet wird«, erzählte Hermann. »Die Berggeister zeigten sich nicht erkenntlich. Seine beiden Söhne aber wunderten sich über das Verbot, jenen Stollen zu betreten, und folgten heimlich ihrem Vater. Statt die Opfergabe den Geistern zu überlassen, machten sie sich selbst darüber her. Als der Vater dahinterkam, wurde er fuchsteufelswild. Er hat sie aus der Grube geprügelt und ihnen verboten, sich je wieder unter Tage blicken zu lassen.«
Der Bergmeister seufzte kaum hörbar. »Jetzt muss ich beim nächsten Bergschöppengericht den Vater bestrafen, weil er mit seinem Geschrei wirklich die Berggeister hätte aufwecken können, und die Söhne, weil sie es ihrem Vater und den Hütern der unterirdischen Schätze gegenüber an Respekt fehlen ließen.«
Die Bergleute hatten gemäß alter Tradition ihre eigene Gerichtsbarkeit unter Vorsitz des Bergmeisters. Zumeist wurden dabei Streitigkeiten um die Ausbeute oder um den Arbeitslohn behandelt. Dieser Vorfall jedoch, das ahnte Christian, würde härter bestraft werden müssen.
»Es gibt noch etwas Wichtiges, das ich Euch mitteilen möchte«, eröffnete Hermann, nachdem er einen Schluck genommen hatte. Als Christian ihn mit einer Handbewegung aufforderte, zu sprechen, zögerte der Bergmeister nicht länger. »Es gibt Anzeichen dafür, dass auch der Abbau in den Nachbardörfern gute Ausbeute bringen könnte, namentlich in Berthelsdorf und Tuttendorf.«
Mehr musste er Christian nicht erklären. Beide Dörfer waren schon vor Jahren dem Zisterzienserkloster zugesprochen worden, wie einst Christiansdorf auch. Bevor der Bergbau dort aufgenommen wurde, musste der Markgraf mit dem Bischof und dem Abt verhandeln. Denn über kurz oder lang würde dort jemand einen Erzfund muten, das war ebenso wenig zu verhindern wie Sonne oder Regen.
Otto hatte schon vor Jahren, gleich nach den ersten Silberfunden in Christiansdorf, mit Bischof Martins Vorgänger Gerung ausgehandelt, dass dieser ihm die drei Dörfer zurückgab. Das hatte den Markgrafen viel Land und beträchtliche andere Zugeständnisse gekostet.
»Ihr solltet mit dem Markgrafen reden, sobald er vom Kriegszug zurückkehrt«, meinte Hermann. »Es könnte Ärger vermeiden, würde er die Absprache mit dem verstorbenen Bischof und dem Abt über den Rücktausch der Dörfer in einer Urkunde festhalten.«
»Danke für Eure Umsicht, Bergmeister«, meinte Christian.
Währenddessen stand Marthe Raina in ihrer schwersten Stunde bei. Schon seit der Nacht lag die Magd in den Wehen, aber nun würde es nicht mehr lange dauern, bis das Kind kam.
Raina schien über den Schmerzen jedes Gefühl für Zeit verloren zu haben. »Ich habe keine Kraft mehr«, stöhnte sie. »Ist es nicht bald endlich vorbei?«
»Du hast es gleich geschafft«, sprach Marthe ihr gut zu.
»Beeil dich, dann kannst du es seinem Vater bei der Ankunft zeigen«, ließ sich Clara vernehmen, die gerade in die Gebärkammer gekommen war.
Verblüfft schauten die Wehmutter und die Kreißende auf das achtjährige Mädchen.
»Sind die Männer etwa schon vom Feldzug wieder da?«, fragte Marthe, hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und Sorge.
Die Reichsheerfahrt hatte vor kaum zehn Wochen begonnen; sie konnte unmöglich bereits vorbei sein! War Lukas etwa wegen einer schweren Verletzung nach Hause geschickt worden?
»Noch nicht. Aber es wird wohl nicht mehr lange dauern«, verkündete Clara lächelnd. Schon war sie wieder zur Tür hinaus.
Ich muss unbedingt mit ihr darüber reden, nahm sich Marthe zum wiederholten Male vor. Dann wandte sie sich wieder Raina zu. »Du hast es gehört. Beeil dich besser, wenn du Ritter Lukas mit seinem Erstgeborenen im Arm begrüßen willst. Also … pressen …!«
Glücklich und erleichtert,
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