Die Entscheidung der Hebamme
keine Gelegenheit, darüber nachzudenken. Sie hatte die Männer zu begrüßen, Anweisungen für eine kräftige Mahlzeit zu geben und einen Boten zu Christian zu schicken, der mit dem Bergmeister unterwegs war, um ein paar Gruben außerhalb des Ortes zu besuchen.
Mitten in all dem Trubel bemerkte sie, dass Raina aufgestanden und aus der Gebärstube gekommen war. Mit zittrigen Knien stand sie gegen die Wand gelehnt, ihr Kind im Arm, und richtete den Blick auf Lukas.
Der wurde von einer älteren Magd darauf aufmerksam gemacht. Verblüfft drehte er sich zu Raina um, blieb einen Moment wie versteinert stehen, dann ging er mit langen Schritten geradewegs auf sie zu, wie von einer unsichtbaren Leine gezogen.
Marthe sah, wie er ein paar Worte mit der jungen Mutter wechselte und auf seinen Sohn schaute. Lukas’ Gesichtsausdruck wechselte von Fassungslosigkeit über Freude zu unbeholfener Zärtlichkeit, als er das Neugeborene betrachtete und vorsichtig dessen Gesichtchen berührte. Dann strahlte er Raina an, sagte etwas, das auch sie glücklich lächeln ließ, strich ihr über die Wange und ging zögernd zurück zu den Männern, die noch unter seinem Kommando standen.
Die Szene war auch Adela nicht entgangen, die kreidebleich und mit verkniffenem Gesicht vor dem Eingang zur Halle stand.
Das riecht nach Ärger, dachte Marthe. Sie lief los, um die noch von der Entbindung schwache Raina wieder ins Bett zu scheuchen, gab den Mägden ein paar letzte Anweisungen und hastete dann Adela hinterher. Besser, sie sprach jetzt gleich mit ihr, ehe sich böse Gedanken in der tief Getroffenen breitmachten.
Christian kam schon auf den Burghof geritten, noch ehe Lukas und seine Begleiter Gelegenheit hatten, in die Halle zu gehen.
Er sprang vom Pferd, warf die Zügel dem jungen Christian zu, der ihm mit höflichem Nicken den Rappen abnahm, und eilte mit großen Schritten dem Freund entgegen.
»Willkommen zurück!«
Erst schlug er Lukas auf die Schulter, dann packte er ihn erleichtert bei den Unterarmen. »Und meinen Glückwunsch zu deinem Sohn!«
»Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell sich Neuigkeiten hier herumsprechen«, entgegnete Lukas lachend.
»Komm, lass uns auf sein und auf dein Wohl trinken«, forderte Christian den Jüngeren auf. »Und erzähl, wieso ihr so schnell schon wieder zurück seid. Die Heerfahrt des Kaisers kann unmöglich bereits beendet sein.«
»Doch, das ist sie«, entgegnete Lukas, während sie sich durch das Gewühl auf dem Hof Richtung Halle arbeiteten. »Sie dauerte keine sieben Wochen.«
»Wie das? Hat sich der Löwe etwa ergeben und dem Kaiser unterworfen?«, fragte Christian verwundert.
»Der Löwe nicht, aber die meisten seiner Gefolgsleute«, berichtete Lukas. Reaktionsschnell wich er einem Stallburschen aus, der ein großes Bündel Heu vor sich hertrug und beinahe gegen ihn gerannt wäre, dann berichtete er im Gehen weiter.
»Der Kaiser hat ein Ultimatum verkündet: Wer von Heinrichs Männern sich ihm bis zum elften November unterwirft, wird begnadigt, wer es nicht tut, verliert wegen Ungehorsams gegenüber dem Kaiser sämtliche Güter. Einer nach dem anderen sind sie übergelaufen, haben dem Kaiser Burgen und Güter übergeben. Und Adolf von Holstein war der Erste …«
»Der Fluch der bösen Tat«, kommentierte Christian lakonisch. Im ganzen Kaiserreich hatte sich herumgesprochen, dass der entmachtete Herzog den heißblütigen Grafen brüskiert hatte, obwohl dieser sich in Diensten des Löwen Ruhm erworben hatte. Gerüchteweise soll Heinrich nicht nur die Auslieferung von Adolfs Kriegsgefangenen gefordert, sondern auch öffentlich Zweifel an dessen Lehnstreue geäußert haben.
»So, wie Heinrich mit seinen Leuten umgeht, werden wohl noch mehr die Seiten wechseln.«
»Das haben die meisten schon getan, sogar solche, die unter Heinrichs Führung zum Mann heranwuchsen und deren Väter bereits dem Löwen gedient haben«, erwiderte Lukas und begann aufzuzählen: »Luppold von Herzberg, Heinrich von Weida, Ludolf von Peine … Die Liste ist lang und illuster, du wirst dich wundern …«
Gemeinsam betraten sie die Halle, wo ein paar Mägde unter Mechthilds Aufsicht Bier und Hirsebrei an die Ersten der Zurückgekehrten austeilten.
Sofort erhoben sich die Männer, um dem Burgherrn und ihrem Befehlshaber den Respekt zu erweisen.
»Ich bin froh, euch alle wohlbehalten wieder hier zu sehen!«, begrüßte Christian die Runde der Heimgekehrten. »Seid bedankt für eure Treue gegenüber dem
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