Die Entscheidung der Hebamme
sogar hinrichten … Und die Kinder?! Was soll nur aus meinen Kindern werden?«
»Nichts von dem wird geschehen«, versuchte er sie in ihrer Not zu beruhigen. »Aber wir sollten jetzt sehen, dass wir von hier fortkommen.«
»Ich bin so weit«, sagte sie mit zittriger Stimme, und er wagte es, sich umzudrehen. Sie war nun wieder vollständig angekleidet, ihr Haar vom Witwenschleier bedeckt, doch sie machte auf ihn einen solch desolaten Eindruck, dass er ihr nicht zutraute, die steile Treppe hinabsteigen zu können.
Kurzentschlossen wischte er sein Schwert am Laken ab, steckte es in die Scheide, ging auf sie zu und nahm sie auf seine Arme. »Niemand wird Anstoß daran nehmen, der ahnt, was du durchlitten hast.«
Vorsichtig wie einen kostbaren Schatz trug er sie die Treppe hinunter. Er spürte ihr Gewicht kaum, umso mehr das Zittern ihres Körpers.
Sie begegneten niemandem auf dem Weg nach unten. Das Gesinde hielt wohl lieber Abstand von dem Fremden, der ihren Herrn getötet hatte. Auf dem Hof angekommen, sah er, dass seine Freunde Ekkeharts Wachen immer noch in Schach hielten. Dann entdeckten sie ihn und Marthe, und entsetzt, mitfühlend und grimmig blickende Augenpaare richteten sich auf sie.
»Lasst uns von hier verschwinden«, sagte Lukas. »Wir müssen beraten.«
Raimund nickte ihm zu. »Besser für euch, ihr verhaltet euch ruhig und wartet, bis ein neuer Herr dieses Lehen übernimmt«, rief er Ekkeharts Männern zu. »Es könnte sonst sein, dass ihr euch vor dem Markgrafen für die Entführung einer Edelfreien verantworten müsst!«
Zögernd blickten sich die Reisigen an; niemand von ihnen wagte etwas zu sagen.
Inzwischen hatte einer der Ritter Lukas’ Pferd gebracht, nahm ihm Marthe ab, damit er aufsitzen konnte, und hob sie vorsichtig in den Sattel.
Flüchtig tauchte in Lukas die Erinnerung auf, wie er einst mit Marthe vor sich auf seinem Braunen losgeritten war, um Rettung für Christian zu suchen. Das war für ihn ein halbes Menschenleben her. Für Christian gab es nun keine Rettung mehr. Sie konnten nur noch für seine Seele beten. Jetzt hielt er die geschundene Marthe vor sich und wusste noch nicht genau, wie er sie, ihre Kinder und sich selbst in Sicherheit bringen konnte.
Der Reitertrupp bewegte sich ein Stück südwärts, schlug dann einen großen Bogen, um mögliche Verfolger zu täuschen, und hielt auf Raimunds Ländereien zu.
Doch nach ein paar Meilen zügelte Raimund, der an der Spitze der Kolonne ritt, seinen Hengst und gab den anderen das Zeichen, es ihm gleichzutun. Sie saßen ab und führten ihre Pferde zu einer verborgenen Lichtung, zu der ihnen Raimund den Weg wies.
Marthe ging nun wieder auf eigenen Füßen, doch sie fühlte sich nicht nur schwach, müde und zerschlagen. Sie wünschte, in der Nähe des Ortes, zu dem Raimund sie führte, gäbe es eine Quelle oder einen Bach, denn noch dringender, als zu schlafen oder zu essen, war ihr das Bedürfnis, Ekkeharts Schweiß und Samen von ihrem Körper abzuspülen – die Erinnerung an jede seiner Berührungen.
»Lukas hat recht, wir müssen beraten«, eröffnete Raimund die Runde, als sich die Männer zur Rast niedergelassen hatten. Marthe setzte sich etwas abseits. Sie wusste, sie war die Ursache der Schwierigkeiten, in die all diese Männer geraten waren, und fühlte sich schuldig.
»Markgraf Otto ist mit seiner Gemahlin auf dem Weg nach Meißen«, sagte er. »Sollen wir ihm entgegenreiten, damit er von uns zuerst erfährt, welches himmelschreiende Unrecht Christian zugefügt wurde?«
»Er wird die Version seines Erstgeborenen bis dahin schon kennen«, meinte der graubärtige Friedmar. »Ich denke, zuerst sollten wir uns lieber Gedanken machen, wie wir Lukas’ Schwerthand und im schlimmsten Fall seinen Kopf retten, ohne die Ehre von Christians Witwe aufs Spiel zu setzen.«
»Ich sehe keinen Weg, ohne den wahren Grund zu nennen. Diese Sache kann nicht öffentlich verhandelt werden«, sagte sofort ein anderer, ein dunkelhaariger junger Ritter, der in Raimunds Nachbarschaft wohnte und dessen Frau von Marthe vor einem Jahr von ihrem ersten Sohn entbunden wurde. »Wir müssen geschlossen vor ihn treten und eine vertrauliche Aussprache erbitten, um die Ehre der Dame zu wahren.«
»Sofern er noch bereit ist, sie als Dame zu sehen und nicht als Witwe eines Verräters«, warf ein anderer ein, den Marthe nur flüchtig kannte.
»Dabei können wir sicher auf die Fürsprache der Markgräfin zählen«, bekundete der Graubärtige mit
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