Die Entscheidung der Hebamme
trank.
Auf der Fensterbank stand ein Brett mit kaltem Fleisch und frisch gebackenem Brot. Er brach etwas davon ab und reichte es ihr. »Hier, iss, das vertreibt die schlimmen Träume.«
Immer noch bis zum Hals unter der Decke, zog sie die Beine an und begann zu kauen. »Ich glaube, ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen, abgesehen von ein paar Bissen gestern Abend … bei unserem Hochzeitsmahl …«
Betretenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
»Ich sollte aufstehen«, sagte sie schließlich. »Schlafen möch-te ich nicht mehr, sonst kommen die Alpträume wieder. Aber … ich weiß noch, was Friedmar gesagt hat … Sollten wir nicht …?«
Entschlossen löste sich Lukas von der Wand, an die er sich gelehnt hatte.
»Komm her«, forderte er sie, schwach lächelnd, auf.
Verwundert folgte sie ihm. Dass sie immer noch das feinbestickte Unterkleid und er Leinenhemd und Bruche trug, nahm ihr wenigstens ein bisschen von ihrer Beklommenheit.
Sie tranken beide von dem kühlen, schweren Wein.
Dann nahm Lukas ihr den Becher ab, stellte ihn beiseite und zog sie an sich. Er umarmte sie wie eine Mutter ein Kind, wie ein Freund einen Freund, und wiegte sie sanft. Er spürte Marthes Tränen und tat nichts weiter, als ihr die Wärme und den Trost einer Umarmung zu schenken. Dabei hoffte er inständig, sein aufkeimendes Begehren wenigstens so lange unterdrücken zu können, bis sie sich von ihm lösen würde.
»Ich vermisse ihn doch auch«, sagte er leise.
Marthe schluchzte. Schließlich sah sie mit verquollenen Augen auf.
»Wir sind jetzt Mann und Frau«, schniefte sie, vergeblich bemüht, die Fassung nicht gänzlich zu verlieren. »Christian ist tot, Gott sei seiner Seele gnädig. Er sollte nicht im Ehebett zwischen uns liegen.«
Ihr kläglich bemühtes Lächeln brach Lukas fast das Herz.
Die halbe Nacht lang hatte er überlegt, wie er am besten angehen sollte, was nun unweigerlich folgen würde.
Er griff nach ihren Schultern und drehte Marthe mit dem Rücken zu sich.
»Schließ die Augen«, flüsterte er und ließ seine Hände langsam sinken, um dann ihren Leib zu umschlingen und sie an sich zu ziehen, damit sie an seiner Brust lehnte.
»Denk jetzt nichts, sieh nichts, fühle einfach nur … einen Mann, der dich von ganzem Herzen liebt.«
Dann begann er, sie sanft zu liebkosen. Er strich mit seinen Lippen kaum fühlbar über ihre Wangen, ihren Hals, den Ansatz ihrer Schulter … lange, bis er endlich begann, ganz vorsichtig, den Halsausschnitt des Unterkleides beiseitezuschieben.
Sie lehnte an ihm, immer noch die Augen geschlossen, ohne sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben.
Lukas befürchtete, Marthe könnte durch den dünnen Stoff seine Erregung spüren. So löste er sich von ihr und geleitete sie vorsichtig zum Bett. Bereitwillig ließ sie sich von ihm führen, immer noch mit geschlossenen Augen.
Während Lukas’ Liebkosungen dachte sie nicht ein einziges Mal, es könnten Christians sein. Christian hatte sie stets voller Leidenschaft geliebt, zärtlich und kraftvoll zugleich, sie waren eins gewesen.
Lukas liebte sie ganz anders: beinahe bedächtig, als wäre sie etwas Heiliges, und mit einer Ernsthaftigkeit, die für sie neu an ihm war. Erst da begriff sie, wie viel sie ihm wirklich bedeutete, und sie war ihm dankbar für seine Geduld und seine bedingungslose Hingabe.
Ja, sie würde Christian bis an ihr Lebensende nicht vergessen. Aber er wäre sicher froh, zu wissen, dass kein anderer als sein bester Freund sich von nun an um seine Frau kümmerte. So hatte er es gewollt.
Lukas verdiente es, dass sie nun ganz und gar seine Frau wurde. Und dass sie es tat, um ihm die Schwerthand und das Leben zu retten, wenn sie bald vor Otto treten mussten, um über ihn richten zu lassen.
Obwohl die Männer um Raimund und Friedmar höchste Eile hatten, aufzubrechen, um Otto zu erreichen, bevor ihm Christians Feinde ihre Version von dessen und Ekkeharts Tod berichteten, hatten sie die Nacht oder die frühen Morgenstunden genutzt, um bei Raimunds Kaplan die Beichte abzulegen und sich ihre Sünden vergeben zu lassen. Niemand vermochte vorauszusagen, wie Otto reagieren würde, wenn er von den dramatischen Geschehnissen in Christiansdorf und vom Tod seines Hauptmannes erfuhr. Sie hatten einen Mann unterstützt, der ausdrücklich gegen die Befehle von Ottos Erben verstoßen hatte, und nicht eingegriffen, als der Anführer seiner Leibwache vor ihren Augen in einem Zweikampf getötet wurde. Und
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